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Arbeitsgruppe Statistische Physik

Lindauer Nobelpreisträgertagung

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Jannik Ehrich

Institut für Physik

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  • Jannik Ehrich (2. von rechts) bei der Brotzeit mit Nobelpreisträger Steven Chu. Foto: Privat

  • Kaffeepause mit Nobelpreisträger Steven Chu. Vorne rechts im Bild: Jannik Ehrich. Foto: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Auf ein Weißbier mit Nobelpreisträgern

Das Örtchen Lindau wird im Sommer regelmäßig zum Schauplatz einer einzigartigen Tagung. Der Oldenburger Physik-Doktorand Jannik Ehrich war in diesem Jahr dabei – und berichtet von seinen Erfahrungen.

Das Örtchen Lindau wird im Sommer regelmäßig zum Schauplatz einer einzigartigen Tagung. Der Oldenburger Physik-Doktorand Jannik Ehrich war in diesem Jahr dabei – und berichtet von seinen Erfahrungen.

Es ist Sonntag, halb drei Uhr nachmittags. Ich stehe in der prallen Sonne auf dem Vorplatz der Inselhalle in Lindau am Bodensee und warte darauf, zur Eröffnungsfeier der 69. Lindauer Nobelpreisträgertagung eingelassen zu werden. Die Atmosphäre ist vergleichbar mit der eines großen Rockkonzerts: Glasflaschen sind verboten, Taschen werden kontrolliert, Laptops müssen vor den Augen des Personals hochgefahren werden. Doch statt Band-Shirts sehe ich T-Shirts mit Schrödinger-Katzen – das Thema der diesjährigen Tagung ist Physik.

Das Format der Lindauer Nobelpreisträgertagungen ist weltweit einzigartig: Jedes Jahr im Sommer kommen 30 bis 40 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger mit 600 Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt zusammen. Das Ziel der Konferenz: Inspirieren, Motivieren, Netzwerken. Die Fachgebiete orientieren sich an denen der Nobelpreise und rotieren jährlich: Chemie, Medizin, Ökonomie, Physik. Wer teilnehmen möchte, muss von einer Institution nominiert werden und durchläuft anschließend einen aufwändigen Bewerbungsprozess.

Beharrlichkeit zahlt sich aus

So war es auch bei mir. 2015, noch während meines Physik-Masterstudiums, wurde ich schon einmal vorgeschlagen. Damals hat es nicht funktioniert. Nun, vier Jahre später und inzwischen Doktorand am Institut für Physik, bin ich dabei. Mit meinem Forschungsthema – statistische Physik kleiner, von thermischen Fluktuationen stark beeinflusster Systeme – bin ich auf der Tagung ein Exot. Im Mittelpunkt stehen Laserphysik, Gravitationswellen, dunkle Materie und Kosmologie. So bekomme ich einen guten Rundumblick darüber, was die aktuellen und zukünftigen „Hot Topics“ der Physik sind.

Das Sakko, das ich bei der Eröffnungsfeier noch trug, kann ich an den folgenden Tagen im Schrank lassen. Selbst einige Nobelpreisträger tauchen in T-Shirt, Shorts und Sandalen mit Socken auf. Eine wichtige Erkenntnis: Die Preisträgerinnen und Preisträger sind auch nur Menschen. In den Kaffeepausen kommt es zu Gesprächen auf Augenhöhe. Dort erfährt man auch die eine oder andere Anekdote aus dem Privatleben, zum Beispiel, dass Michael Kosterlitz (Physik-Nobelpreis 2016 für Forschungen zur Theorie topologischer Phasen von Materie) seine Wissenschaftskarriere beinahe an den Nagel gehängt hätte für seine wahre Liebe: das Bergsteigen.

Damit jeder die Möglichkeit zum ungestörten Austausch mit den Preisträgern bekommt, werden Veranstaltungen wie Spaziergänge oder Mittagessen in Kleingruppen organisiert. Ich ergattere einen Platz beim Mittagessen mit Steven Chu (Physik-Nobelpreis 1997 für das Verfahren zur Erzeugung ultrakalter Gase mittels Laserkühlung, später war er US-amerikanischer Energieminister in der Obama-Regierung).

Inspirierendes Mittagessen

Das Treffen mit Chu ist für mich der inspirierendste Moment der Tagung. Seine aktuellen Forschungsfelder reichen von der Biophysik molekularer Motoren in Neuronen über neuartige, verbesserte Ultraschallgeräte bis zu innovativer Batterietechnik für die kommerzielle Luftfahrt. Die Themen, so sagt er, wähle er nach zwei Kriterien aus: Was wichtig für die Zukunft ist und was ihn interessiert. Unser Gespräch galoppiert von einem Thema zum nächsten. Mich beeindrucken sein Humor und sein immenses Fachwissen. Sogar über meine Forschung sprechen wir.

Chu engagiert sich leidenschaftlich für den Klimaschutz. Damit ist er nicht allein. Die Zusammenkunft so vieler ausgezeichneter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem Ort wird immer wieder genutzt, um politisch etwas zu bewegen. In den so genannten Mainauer Deklarationen haben Nobelpreisträger bereits dreimal auf Missstände hinweisen: 1956 ging es um die Gefahren von Nuklearwaffen, 2015 um den Klimawandel und 2016 um die Vorteile, die der Einsatz von Gentechnik dabei bringt, die globale Ernährung zu sichern.

Nächstes Jahr, zum 70. Tagungsjubiläum, soll eine „Lindau-Deklaration“ hinzukommen. Sie setzt sich für ein neues, kooperatives, offenes internationales Wissenschaftssystem ein. Auch Brian Schmidt (Physik-Nobelpreis 2011 für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums) ruft uns Nachwuchswissenschaftler in seinem Eröffnungsvortrag dazu auf, die eigenen Forschungsergebnisse möglichst frei zugänglich zu machen und respektvoll und offen mit Ideen sowie mit Kolleginnen und Kollegen umzugehen. Es sei unsere Aufgabe, uns gegen all jene zu stellen, die wissenschaftliche Fakten verwerfen und allzu einfache Lösungen für komplexe Probleme haben. Das bedeutet auch, dass wir in der Pflicht sind, unsere Ergebnisse einem breiten Publikum zu präsentieren. Ein klarer Aufruf zu mehr und besserer Wissenschaftskommunikation!

"Mach, was dir Spaß macht!"

Und dann sagt er noch etwas, das mich sehr zum Nachdenken anregt: Im letzten Jahr hat die NASA erstmals nur anonymisierte Anträge zur Nutzung des Hubble-Weltrumteleskopes angenommen. Das Resultat: Zum ersten Mal in fast 30 Jahren hatten Anträge von Frauen die gleiche Erfolgsquote wie die von Männern. Das zeigt, dass wir Wissenschaftler selbst nicht frei sind von Voreingenommenheit.

Womit wir bei einer weiteren wichtigen Beobachtung sind. Unter den 38 angereisten Preisträgern sind nur zwei Frauen: Ada Yonath (Chemie-Nobelpreis 2009 für die Aufschlüsselung der Funktion der Ribosome, den Proteinfabriken unserer Zellen) und Donna Strickland (Physik-Nobelpreis 2018 für das Verfahren zur Erzeugung ultrakurzer, hochenergetischer Laserpulse). Sie ist erst die dritte Frau überhaupt, die den Nobelpreis für Physik erhielt. Mir wird einmal mehr bewusst: Wir haben ein Geschlechterproblem in den Naturwissenschaften, insbesondere in der Physik.

Ein weiteres Gesprächsthema ist die wissenschaftliche Karriere an sich. Dazu gibt es eine Podiumsdiskussion mit zwei Nachwuchswissenschaftlerinnen und drei Preisträgern. Im Prinzip herrscht Einigkeit über die Hauptprobleme: Eine wissenschaftliche Karriere erfordert großen persönlichen Einsatz, dennoch sind die Erfolgsaussichten unsicher. Zudem lässt sie sich nur schwer mit einem Familienleben vereinbaren. Das schreckt insbesondere viele junge Wissenschaftlerinnen ab. Trotz alledem wird klar, dass ein Leben in der Forschung einen ganz besonderen Reiz hat. Für viele ist es mehr Hobby als Beruf. Daher auch der Karrieretipp Nummer eins aller Preisträger: „Mach, was dir Spaß macht, bleib neugierig und lass dich nicht verunsichern!“

Dirndl, Lederhose und bayerisches Bier

Der Kontrast zwischen dem kleinen Ferienort Lindau und der hochkarätigen Tagung könnte nicht größer sein: Hier bayerische Beschaulichkeit vor grandiosem Alpenpanorama, dort intensive wissenschaftliche Diskussionen zwischen Menschen aus 89 verschiedenen Ländern. Am traditionellen bayerischen Abend, an dem landestypische Trachtenkleidung erwünscht ist, schließt sich die Kluft zwischen diesen Gegensätzen. Während ich als Norddeutscher die Verkleidung eher befremdlich finde, kommt sie bei Besuchern aus Übersee sehr gut an. Genauso wie das bayerische Weißbier, das wir Nachwuchsforscher und die Nobelpreisträger an diesem Abend gemeinsam trinken.

Mit frischer Motivation und neuem Selbstbewusstsein für meine Forschung reise ich nach Hause. Die Woche in Lindau war die bisher spannendste Zeit meiner wissenschaftlichen Karriere. Wo sonst hat man die Möglichkeit, so vielen inspirierenden Menschen zu begegnen?

Jannik Ehrich

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(Stand: 12.04.2024)  | 
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