Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren ging der Nobelpreis 2020 an die Gravitationsphysik. Die Oldenburger Expertin Jutta Kunz erzählt, warum es auch für sie nichts Spannenderes als Schwarze Löcher, Neutronensterne und Gravitationswellen gibt.
Frau Prof. Kunz, was fasziniert Sie so an Astrophysik?
Ich war schon als Kind von Fragen nach dem Universum fasziniert. Wo der Ursprung von allem liegt, woraus das Universum besteht, wie es weitergeht, das fand ich sehr spannend, und das fasziniert viele Menschen. Es gibt kein Arbeitsgebiet, das ich je dagegen tauschen möchte. Durch die drei Nobelpreise so kurz hintereinander sieht man, dass hier gerade enorm viel passiert.
In diesem Jahr wurde der Nobelpreis für Physik für die Erforschung der Schwarzen Löcher verliehen. Was sind das für Himmelskörper?
Schwarze Löcher sind sehr erstaunliche Objekte. Ihre Schwerkraft ist so stark, dass sie jegliche Materie verschlingen, die ihnen zu nahe kommt. Jenseits einer bestimmten Grenze, des sogenannten Ereignishorizonts, kann nicht einmal Licht von einem Schwarzen Lochs entweichen. Daher erscheinen sie am Himmel vollkommen schwarz. Licht kann nur von angeregter Materie in ihrer Umgebung kommen.
Sie befassen sich schon lange mit Schwarzen Löchern und haben in den 1970er Jahren begonnen, Physik zu studieren. Welches Bild hatte man damals von diesen Objekten?
Man wusste bereits eine ganze Menge über Schwarze Löcher. Schon aus der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Albert Einstein 1915 formulierte, lassen sich Schwarze Löcher als Lösungen der Feldgleichungen herleiten. Zunächst galten sie allerdings als kuriose mathematische Objekte. Man hat sie noch nicht mit dem realen Universum in Verbindung gebracht.
Wann hat sich das geändert?
Ende der 1930er Jahre war durch Arbeiten des Kernphysikers Robert Oppenheimer und seiner Kollegen deutlich geworden, was passiert, wenn sehr massereiche Sterne ihren Kernbrennstoff verbraucht haben: Sie fallen durch ihre eigene Schwerkraft zusammen. Bei diesen Überlegungen zeigte sich, dass diese schweren Sterne dann theoretisch zu Schwarzen Löchern werden müssten. Allerdings war damals die Ansicht verbreitet, dass so etwas in der Natur nicht wirklich passiert. Roger Penrose, einer der diesjährigen Nobelpreisträger, hat aber 1965 gezeigt, dass für einen solchen Kollaps keine besonderen Voraussetzungen nötig sind, dass er also tatsächlich passieren sollte.
Wann hat man die ersten Schwarzen Löcher beobachtet?
Schon in den 1950er Jahren hat man sehr merkwürdige Radioquellen entdeckt, also Himmelskörper, die Radiowellen abstrahlen. Man hat sie Quasare, quasistellare Objekte, getauft. 1963 wurde dann entschlüsselt, dass es sich dabei um sehr weit entfernte Objekte handelt. Diese Quasare sind relativ klein, überstrahlen aber ihre gesamte Galaxie. Als Quelle für die riesige Menge Energie, die sie abstrahlen, kam man dann auf rotierende Schwarze Löcher. Die Strahlung wird dabei von der sogenannten Akkretionsscheibe freigesetzt. Das ist Materie, die um das Schwarze Loch rotiert, sich dabei stark aufheizt und irgendwann hineinfällt. Wir nehmen auch heute noch an, dass Quasare durch supermassereiche Schwarze Löcher im Zentrum von frühen Galaxien angetrieben werden.
Eine Hälfte des Nobelpreises in diesem Jahr geht an die amerikanische Astronomin Andrea Ghez und den deutschen Astrophysiker Reinhard Genzel, die nachgewiesen haben, dass es auch im Zentrum der Milchstraße ein supermassereiches Schwarzes Loch gibt.
Die beiden haben dort sehr helle Sterne beobachtet, die sich auf ähnliche Weise um ein dunkles Zentrum bewegen wie die Planeten um die Sonne. Die Bahnen sehen daher nahezu aus wie Ellipsen, doch die Sterne erreichen ungeheuer große Geschwindigkeiten auf ihren Bahnen. Dies alles lässt auf ein supermassereiches Schwarzes Loch von etwa vier Millionen Sonnenmassen im Zentrum der Milchstraße schließen, um das sich diese Sterne bewegen.
2019 haben Astrophysikerinnen und Astrophysiker dann erstmals ein Bild eines Schwarzen Loches veröffentlicht. Was sieht man dort?
Genau genommen hat das Team vom Event Horizon Telescope den sogenannten Schatten des Schwarzen Lochs abgebildet, einen Bereich, in dem selbst Licht vom Schwarzen Loch eingefangen wird. Das Bild zeigt, dass der dunkle Schatten von einer leuchtenden Akkretionsscheibe umgeben ist. Das Event Horizon Telescope besteht aus mehreren vernetzen Radioteleskopen, sie bilden zusammen ein virtuelles Teleskop, das so groß ist wie die Erde. Nur so war es möglich, das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie M87, der massereichsten Galaxie in unserem Galaxienhaufen, abzubilden. Dieses Schwarze Loch ist über tausendmal schwerer als das in unserer Milchstraße, es hat mehr als sechs Milliarden Sonnenmassen.
Welche Zustände herrschen im Inneren eines Schwarzen Lochs?
Das ist ein großes Rätsel. Wenn man die Einsteinschen Gleichungen löst, ergibt sich im Zentrum eine sogenannte Singularität – dort sind physikalische Größen nicht mehr definiert, die Krümmung der Raumzeit wird wegen der starken Gravitation unendlich, die Gleichungen brechen zusammen. Solche Unendlichkeiten erwarten wir aber nicht in der Natur.
Wie könnte man herausfinden, was dort wirklich los ist?
Wir brauchen eine neue Theorie, die auf astronomischen Maßstäben mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und im mikroskopischen Bereich mit der Quantentheorie vereinbar ist. Das wäre eine Theorie der Quantengravitation. Die Hoffnung ist, dass sich das Innere von Schwarzen Löchern mit so einer Theorie physikalisch sinnvoll beschreiben lässt, dass dort also keine Singularitäten mehr auftreten.
Warum spielt die Quantentheorie eine Rolle für Schwarze Löcher?
Wenn wir Vorgänge in mikroskopisch kleinen Bereichen betrachten, dann müssen wir die Quantenmechanik berücksichtigen. Das gilt auch für das Zentrum Schwarzer Löcher oder für das ganze Universum, etwa beim Urknall. Wir wissen allerdings noch nicht, wie wir Quantentheorie und Allgemeine Relativitätstheorie richtig zusammenbringen müssen. Beim Elektromagnetismus hat es funktioniert, eine klassische Theorie quantenmechanisch zu verallgemeinern, und bei den Theorien der Teilchenphysik konnte man analog verfahren. Die Gravitation ist aber komplizierter.
Welche Möglichkeiten gibt es da?
Um zu einer Theorie der Quantengravitation zu kommen, haben viele Forscherinnen und Forscher lange auf die Stringtheorie gesetzt. Auch in unserem Graduiertenkolleg „Models of Gravity“, an dem neben der Universität Oldenburg noch vier weitere Universitäten beteiligt sind, haben wir uns damit beschäftigt. Die Stringtheorie führt zusätzliche räumliche Dimensionen ein. Dadurch sind auch weitere, ganz neue Typen von Schwarzen Löchern möglich. Beispielsweise findet man Schwarze Saturne, bei denen ein Schwarzes Loch mit rundem Ereignishorizont von einem Schwarzen Ring mit ringförmigem Ereignishorizont umgeben ist, und noch kompliziertere Schwarze Objekte.
Kann man solche Vorhersagen durch Beobachtungen überprüfen?
Genau das ist das zentrale Thema unseres Graduiertenkollegs. Wir untersuchen, ob die Vorhersagen bestimmter Gravitationstheorien beobachtbar sind. Zum Beispiel rechnen wir aus, wie groß der Schatten eines Schwarzen Lochs sein müsste, wenn eine bestimmte Theorie zutrifft – und prüfen, ob das mit dem Bild von M87 übereinstimmt, dem einzigen Messpunkt, den es dafür bislang gibt. Auch in Bezug auf die Bewegungen der Sterne im Zentrum der Milchstraße machen solche Theorien Vorhersagen, oder für Gravitationswellen, die beim Verschmelzen von Neutronensternen oder Schwarzen Löchern freigesetzt werden.
Und das Ergebnis?
Bislang stimmt einfach alles, was wir an Messergebnissen haben, mit Einsteins Theorie überein. Innerhalb der Fehlerbandbreite hat sich die Allgemeine Relativitätstheorie bislang immer bestätigt. Daher konzentrieren wir uns auf Theorien, die in Bezug auf alle bekannten Messdaten nur sehr kleine Abweichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie vorhersagen. Sonst wissen wir anhand der vorhandenen Beobachtungen schon, dass wir die Theorie vergessen können.
Wann rechnen Sie mit einem Durchbruch?
Richtig vorankommen werden wir erst mit der nächsten Generation von Instrumenten. Der erste Gravitationswellendetektor im Weltraum, LISA, ist da ein Beispiel. Dieses Instrument der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA soll 2034 gestartet werden. Es wird dann in der Lage sein, auch Gravitationswellen vom Verschmelzen von supermassiven Schwarzen Löchern zu detektieren, was mit Detektoren auf der Erde nicht möglich ist. In Zukunft wird man vieles noch genauer messen können. Ich gehe daher fest davon aus, dass die Gravitationsphysik eine leuchtende Zukunft vor sich hat.
Interview: Ute Kehse