Einer der größten und ältesten Bäume im Botanischen Garten der Universität Oldenburg ist krank. Man könnte sagen: Seine Altersschwäche lässt ihn den Kampf gegen Parasiten verlieren. Warum der imposante Silberahorn deshalb früher oder später gefällt werden muss, erklärt Klaus Reis, technischer Leiter des Botanischen Gartens.
Auf der dem Weg abgewandten Seite des mächtigen Stammes kniet sich Klaus Reis auf den Waldboden. Er klopft auf ein etwas seltsam aussehendes Stück vermeintlicher Borke am Fuße des Baumes, das sich wie ein kleiner, harter Baldachin über zwei Wurzelansätze spannt. Dank seiner braunen Farbe sieht es aus wie ein Teil des Baumes und klingt auch so. Wer „auf Holz klopft“, um Unglück zu verhindern, kennt das Geräusch. Im Falle des Silberahorns ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten.
Der Baum ist seit mehreren Jahren von einem Pilz befallen und die vermeintliche Borke, auf die der technische Leiter des Botanischen Gartens wie auf Holz klopfen kann, ist der Fruchtkörper eines Lackporlings. Vor drei Jahren ist dem technischen Leiter des Botanischen Gartens der gut getarnte Pilz zum ersten Mal aufgefallen. Seitdem weiß er, dass im Innern des mächtigen Baums, der 70 Jahre alt ist, ein Kampf tobt.
„Silberahorn-Bäume werden unter normalen Bedingungen um die 100 Jahre alt“, erklärt Prof. Dr. Dirk Albach, Direktor des Botanischen Gartens. „Ihr Holz ist nicht so widerstandsfähig wie zum Beispiel das von Eichen.“ Das Exemplar im Nordamerika-Bereich des Gartens ist also bereits ein Senior und noch dazu einer, der einiges erlebt hat.
Verletzungen sind Einfallstore für Pilze
Dass dem Ahorn in seinem langen Leben viele Verletzungen widerfahren sind, ist mit bloßem Auge zu erkennen. Um diverse Astlöcher haben sich beim Zuwachsen Wulste gebildet und vielleicht war es irgendwann einmal ein im Sturm abgerissener Ast, der eine Verletzung in den Stamm riss, die dann unbemerkt das Eingangstor für den Lackporling war.
„Wenn so ein Pilzbefall an einer Stelle auftritt, ist das meistens noch nicht so schlimm“, erklärt Reis. Während der Pilz den Stamm von innen quasi aushöhlt, indem er dessen Holzstoffe abbaut bis nur noch styroporartiges Material übrigbleibt, wächst der Baum ohnehin nach außen weiter. „Die Pflanze kriegt Zuwachs“, nennt Reis das. Solange der Baum schneller Zuwachs bekommt als der Pilz ihn aushöhlt, führt er den Kampf an – und bleibt standfest. Allerdings wächst ein Baum mit steigendem Alter immer weniger.
Schalltomographie steht bevor
Inzwischen sind Reis weitere Fruchtkörper am Stamm des Silber-Ahorns aufgefallen. „Innen ist der Baum von Myzelien durchzogen“, sagt er. Die sichtbaren Fruchtkörper seien nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Der Eisberg selbst, das sind die fadenartigen Pilzzellen, die dem Baum von innen zu schaffen machen. Schon vor rund zwei Jahren haben Baumkletterer die drei mächtigen Äste des Ahorns mit starken Gurten zusammengebunden, damit sich stärkerer Wind auf den gesamten Wipfel verteilt und keine einzelnen Teile des geschwächten Baums herunterfallen.
Wie es um das Innenleben genau bestellt ist, soll demnächst eine Schalltomographie zeigen. Eine Baumgutachterin wird dazu kleine Nägel in die äußere Splintholzschicht des Silberahorns schlagen. Auf die Nägel wird geklopft. Die so erzeugten Schallimpulse finden ihren Weg durch den Baum zu den anderen Nägeln, die ihn mit kleinen Sensoren wieder aufnehmen. Je nach Baumbeschaffenheit verändert sich der Impuls. Mit einem Computerprogramm lässt sich so ein Bild aus dem Innern des Baumes erstellen.
Sicherheit steht im Vordergrund
Diese Information spielt eine Rolle bei der Beurteilung, wie lange der Silberahorn noch im Botanischen Garten stehen wird. „Ich bin für die Standsicherheit verantwortlich“, betont Reis. Ist sie ernsthaft gefährdet, muss der Baum gefällt werden. „Früher oder später wird das passieren“, sagt er.
Schön findet auch er das nicht, aber Sicherheit gehe nun einmal vor. Besucherinnen und Besucher des Botanischen Garten könnten verletzt werden, wenn der 22 Meter hohe Baum unkontrolliert umstürzt. Außerdem verlaufen in unmittelbarer Nähe Eisenbahngleise samt Oberleitungen. Auch sie könnten Schaden nehmen.
Heilung gibt es nicht
Eine Heilung für den Silberahorn gibt es nicht. Früher übliche Versuche, Baumaushöhlungen mit Beton zu verfüllen, damit kein Pilz durchkommt, sind längst nicht mehr aktuell. Wie auch beim Menschen gilt: Das Leben eines Baumes ist endlich – auch wenn er in einem Botanischen Garten steht und regelmäßig von Fachleuten begutachtet wird. Reis etwa kontrolliert die über 500 Bäume im Botanischen Garten alle anderthalb Jahre, damit er sie während verschiedener Jahreszeiten untersuchen kann. Dabei stellt der gelernte Garten- und Landschaftsbauer sowie studierte Landespfleger insbesondere zwei Fragen: Wie gesund wirkt der Baum? Und: Ist er noch standfest?
Melden sich Zweifel, untersucht Reis einen Baum engmaschiger, so wie seit drei Jahren auch den Silberahorn. Er weiß: Inzwischen ist dessen Standfestigkeit das Thema, das dabei im Vordergrund steht – egal, wie saftig seine Blätter aussehen. Irgendwann wird er die endgültige Entscheidung treffen und die Fällung des alten Silberahorns anordnen müssen. „Wenn man so einen starken Pilzbefall entdeckt, weiß man leider: Das ist der Anfang vom Ende“, sagt Reis.