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Der Sonderforschungsbereich verfolgt das Ziel, den fundamentalen Strukturwandel des Eigentums, der spätestens seit 1989 zu beobachten ist, zu untersuchen. Er umfasst insgesamt 23 Teilprojekte an fünf Standorten in Deutschland, darunter auch Oldenburg. An dem interdisziplinären Projekt blicken Forschende aus unterschiedlichen Perspektiven auf die bestehende Ordnung und neue Vorstellungen vom Eigentum.

Kurzvita

Prof. Dr. Tilo Wesche ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Oldenburg. Neben den Fragen nach gemeinschaftlichem, gemeinnützigem und nachhaltigem Eigentum ergründet er unter anderem Themen der Demokratie und Gerechtigkeit, der philosophischen Anthropologie und Theorien des guten Lebens sowie der Indifferenz- und Rationalitätsforschung. Wesche promovierte 2003 an der Universität Tübingen und habilitierte sich 2008 an der Universität Basel (Schweiz). Ehe er 2018 dem Ruf nach Oldenburg folgte, vertrat er Professuren an mehreren Universitäten und war zuletzt Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Sein Buch „Die Rechte der Natur – Vom nachhaltigen Eigentum“ erschien im September 2023 im Suhrkamp Verlag.

Kontakt

Prof. Dr. Tilo Wesche

Institut für Philosophie

+49 441 798-2043  (F&P

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    Dem Whanganui River in Neuseeland gehören seine eigenen Ressourcen. Auch Anwohnerinnen und Anwohner dürfen Eigentum an den Naturgütern erwerben, haben aber die Pflicht, nachhaltig damit umzugehen. © Surfing the Planet

  • Porträtfoto

    Tilo Wesche plädiert dafür, dass die Natur Eigentusmrechte erhält. Universität Oldenburg / Daniel Schmidt

„Keine Zeit für Utopien“

Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz. Auch zur Nachhaltigkeit, sagt der Oldenburger Philosoph Tilo Wesche. Er plädiert dafür, der Natur Eigentumsrechte zu verleihen, um die übermäßige Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu stoppen.

Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz. Auch zur Nachhaltigkeit, sagt der Oldenburger Philosoph Tilo Wesche. Er plädiert dafür, der Natur Eigentumsrechte zu verleihen, um die übermäßige Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu stoppen.

Über Eigentum wird aktuell viel diskutiert, etwa über Vergesellschaftung oder sogar Enteignung von Unternehmen. Um eine neue Sicht aufs Eigentum geht es auch im Sonderforschungsbereich „Strukturwandel des Eigentums“, in dem Sie mitarbeiten. Was verbirgt sich hinter dem Wunsch, die aktuelle Ordnung zu verändern?

In den letzten Jahrzehnten ist das Verständnis des Eigentums einseitiger geworden. Unter Eigentum wird immer mehr ausschließlich Privateigentum verstanden. In unserem Sonderforschungsbereich wollen wir daran erinnern, dass es alternative Formen des Eigentums gibt, sei es genossenschaftliches Eigentum, sei es öffentliches Eigentum. Diese alternativen Formen geraten zunehmend unter Druck: In Berlin war bis in die 1960er-Jahre beispielsweise noch ein Großteil der Wohnungen in öffentlichem Besitz. Dann gab es Privatisierungswellen. Auch Universitäten als öffentliche Einrichtungen haben immer stärker gegen die Konkurrenz von Privatuniversitäten zu kämpfen.

Ist Privateigentum die Wurzel von Problemen wie sozialer Ungleichheit oder Umweltzerstörung?

Ich glaube nicht, dass Privateigentum an sich das Grundübel ist. Das Problem sind vielmehr die modernen Eigentumsrechte, die an der Schwelle zum 19. Jahrhundert eingeführt wurden, am Ausgang der Französischen und der Amerikanischen Revolution. Ein Grundfehler liegt darin, dass diese Eigentumsrechte nicht berücksichtigen, dass Güter sich grundsätzlich unterscheiden können, und dass sie alle Güter als „Sachen“ betrachten. Wir werfen alles in einen Topf und behandeln Naturgüter genauso wie Gebrauchsgüter, wie etwa meine Kleidung, Möbel, Zahnbürste.

Sie plädieren dafür, dass man insbesondere bei Naturgütern nach Alternativen zum Privateigentum suchen sollte – dass die Natur selbst Eigentumsrechte erhält.

Genau. Durch das aktuelle Eigentumsrecht wird es möglich,dass ich Naturgüter genauso ge- und verbrauche wie Gebrauchsgüter. Ich glaube, dass Naturgüter kein Privateigentum sein sollten. Zum Beispiel sollte eine Immobilie anders behandelt werden als der Boden, auf dem sie steht. Denn der Boden ist ein Naturgut und bietet Leistungen wie Stabilität oder Wasserspeicherung. Wenn die Natur sich selbst gehört, gibt es zwar private Ansprüche an Naturgüter, aber es handelt sich immer um ein geteiltes Eigentum: Ich kann nicht mit meinem Grundstück machen, was ich möchte, obwohl es mir gehört, weil es zugleich Eigentum der Natur ist.

Ein ungewohnter Gedanke. Wie könnte dieses Eigentumsrecht konkret aussehen?

Ein Beispiel, an dem ich mich orientiere, ist ein Fluss in Neuseeland, der Whanganui River. Das neuseeländische Parlament hat beschlossen, dass der Fluss Rechte erhält, darunter auch Eigentumsrechte. Auch dem Fluss gehören seine Ressourcen – das Wasser, die Fische, die Uferpflanzen, der Sand. Der Fluss ist aber nicht alleiniger Eigentümer der Ressourcen. Auch die Anwohnerinnen dürfen Eigentum an den Naturgütern erwerben, aber diese Rechte werden begrenzt durch die Eigentumsrechte des Flusses. Daraus ergibt sich die Pflicht, nachhaltig mit den Naturgütern umzugehen. Eigentum soll vor den Übergriffen und Interessen anderer schützen. Diesen Schutz verdient auch die Natur als Eigentümerin ihrer Ressourcen.

Die Idee, dass man der Natur etwas zurückgeben muss, wenn man etwas entnommen hat – gibt es dafür weitere Beispiele?

Dieser Gedanke durchzieht alle Kulturen und die Geschichte, ob in Lateinamerika, in Afrika oder in Asien. Auch im Christentum gibt es den Gedanken, dass die Schöpfung nicht dem Menschen gehört, sondern Gott. Mir kommt es darauf an, wie man diesen eher kulturell oder religiös geprägten Gedanken übersetzen kann in eine säkulare Gesellschaftsordnung. Da beginnt die philosophische Arbeit, die Frage nach den Begründungen solcher nicht menschlichen Rechtsträger.

Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?

Wir sollten uns anschauen, wie wir unsere bestehenden Eigentumsrechte begründen. Deren normative Grundlage ist die Regel, dass, wer Werte schafft, auch Ansprüche auf das Eigentum an den geschaffenen Werten hat. Diesen Gedanken finden Sie in der Ideengeschichte seit der Antike über Thomas von Aquin im Mittelalter bis in die Neuzeit, bei John Locke. Auch in gegenwärtigen Debatten kommt er vor, etwa wenn es um die Kritik an unbezahlter Sorgearbeit oder an leistungslosen Gewinnen geht. Diese Gedanken übertrage ich auf die Natur. Denn die Natur trägt – genauso wie Menschen durch Arbeit – durch Ökosystemdienstleistungen zur Wertschöpfung bei. Und deswegen sollte die Natur die gleichen Eigentumsrechte bekommen wie wir Menschen.

Ließe sich das Dilemma, dass Ökosysteme zu stark genutzt werden, nicht einfach durch ökonomische Mittel lösen, wie etwa Steuern?

Indem man der Natur Eigentumsrechte verleiht, geht man darüber hinaus und stellt Hürden auf mehreren Ebenen auf. Die erste Hürde besteht darin, dass es keinen freien, uneingeschränkten Zugang zur Natur gibt, wenn die Naturgüter nicht dem Menschen allein gehören. Wir könnten etwa Kohlereviere nicht mehr einfach abbauen oder Pestizide über Felder verstreuen. Die zweite Hürde besteht darin, eine Kompensation für die Nutzung von Naturgütern zu schaffen. Wird beispielsweise Boden versiegelt, weil eine Stadt wächst, dann müssen andere Flächen entsprechender Größe wieder entsiegelt werden. Wenn ein Wald gerodet wird, dann muss es woanders in gleichem Maße Aufforstung geben. Eine dritte Hürde entsteht auf der bioökonomischen Ebene: Die Natur bekommt einen Preis. Das ist nicht ungewöhnlich: Wenn ich fremdes Eigentum nutze, bin ich dazu bereit, einen Preis zu zahlen, etwa, wenn ich ein Verkehrsmittel des öffentlichen Verkehrs nutze. Und genauso, glaube ich, müsste es mit der Nutzung von Naturgütern sein – dass für das Nutzen fremden Eigentums eine gewisse Gebühr zu zahlen ist. Diese Gebühr müsste dann direkt Nachhaltigkeitszielen zugutekommen. Wer einen Wald rodet und das Holz verwertet, muss beispielsweise eine Gebühr entrichten, die die Kosten der Aufforstung deckt.

Welches Stück Natur – hier in der Umgebung oder in Deutschland – sollte aus Ihrer Sicht sich selbst gehören?

Natürlich das Wattenmeer, das sehr bedroht ist durch Ressourcenabbau und den Meeresspiegelanstieg. Aber auch die grünen Landschaften um Oldenburg herum sind durch die Erderwärmung und die damit einhergehende Trockenheit bedroht. Das zeigt uns ganz unmittelbar, wie dringend es ist, der Natur einen robusten Schutz zu verleihen, der wirtschaftlichen Interessen standhalten kann. Das heißt nicht, dass wir ganz auf wirtschaftliche Interessen verzichten sollten, aber es bedarf einer Begrenzung wirtschaftlicher Verwertungslogiken, die der übermäßigen Ausbeutung wirklich einen Riegel vorschieben kann.

Ist es nicht eine Art Utopie, die Ihnen da vorschwebt?

Mir geht es gerade darum, nicht einfach eine Utopie aufzuzeigen, die für uns unerreichbar ist, sondern vom Bestehenden auszugehen. Unter dem Zeitdruck des Klimawandels, aber auch des Artensterbens, der globalen Vermüllung, der Ressourcenerschöpfung haben wir keine Zeit, über Utopien nachzudenken, die irgendwann einmal vielleicht realisierbar sind. Zudem haben wir weltweit mittlerweile ungefähr 200 Fälle von Rechten der Natur, ob in Neuseeland, Ecuador oder Kolumbien, aber auch in den USA, in Kanada und selbst in der EU: Im vergangenen Jahr wurden zum Beispiel der Lagune Mar Menor in der Nähe von Murcia in Spanien eigene Rechte verliehen. Die Rechte der Natur, teilweise auch ihre Eigentumsrechte, sind mittlerweile etablierte Rechtspraxis.

Das heißt, diese Veränderung des Eigentumsrechts würde den Weg in eine nachhaltige Gesellschaft ebnen?

Das ist eine gute Formulierung: Es ist der Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Nachhaltige Eigentumsrechte, Eigentumsrechte der Natur sind nicht das eigentliche Ziel. Ich würde nicht sagen, dass eine Gesellschaft, wie wir sie uns wirklich wünschen, unbedingt Eigentumsrechte beinhalten muss.

Wofür brauchen wir Eigentum denn überhaupt?

Eigentum hat vor allem die Funktion der Güterverteilung: Wir müssen knappe Ressourcen in arbeitsteiligen Gesellschaften verteilen. Das Medium, über das Güter verteilt werden, ist das Eigentumsrecht. Das heißt aber: In Gesellschaften, in denen es keine Arbeitsteilung und auch keine knappen Güter gibt, brauchen wir kein Eigentum. Das, glaube ich, ist aber tatsächlich eine Utopie.

Interview: Ute Kehse

Dieser Text ist zuerst im Forschungsmagazin EINBLICKE der Universität Oldenburg erschienen.

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