Jüdisches Leben als integralen Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur darzustellen, ist Anliegen der Arbeitsstelle „Interkulturelle Jüdische Studien“. Im Interview spricht die Vorsitzende Andrea Strübind über die Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde – und darüber, wie sich Antisemitismus in der Gesellschaft begegnen lässt.
Frau Strübind, in Oldenburg und bundesweit begehen Menschen derzeit das Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland – auch, um einem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen. Wie blicken Sie als Theologin auf Antisemitismus in Deutschland?
Antisemitismus ist leider latent in unserer Gesellschaft verankert – auch durch die christliche Tradition. Es gibt eine jahrtausendealte Judenfeindschaft, die von den christlichen Kirchen entscheidend geprägt wurde. Die Kirchen und die Theologie haben erst im Nachgang zur Shoah damit begonnen, ihre eigene Lehre zu revidieren und ein anderes Bild vom Judentum zu entwickeln. Der jüdisch-christliche Dialog hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in allen Konfessionen zu einer tiefgreifenden Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum geführt. Viele antisemitische Stereotype sind jedoch so tief verankert, dass es nur einen aktuellen politischen Anlass geben muss, um diese wieder hervortreten zu lassen. Ein aktuelles Beispiel sind weitverbreitete antisemitische Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. In manchen Milieus und in musikalischen Subkulturen werden dabei uralte antisemitische Stereotype aufgewärmt, die oftmals im Mittelalter entstanden sind. Und anlässlich des kürzlich wieder aufgeflammten Nahost-Konflikts haben wir sogar antisemitisch aufgeladene Gewaltaktionen vor Synagogen erlebt. Ich finde das bedrückend.
Wie können wir als Gesellschaft diesem Problem begegnen?
Indem wir beispielsweise darüber berichten und aufklären, wie Judenhass und Antisemitismus in der Geschichte entstanden sind. Wir sollten aber nicht nur reden. Vielmehr sind auch Begegnungen mit jüdischen Menschen wichtig. Denn in der Begegnung wird oft erst klar, welche fürchterlichen Folgen der latente Antisemitismus in unserer Gesellschaft haben kann. Das habe ich beispielsweise persönlich erlebt, als ich einen Tag nach dem Attentat in Halle zu Gast in der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg beim Laubhüttenfest war. Dort war die Stimmung bedrückend, die Gemeinde stand unter erhöhtem Polizeischutz. Es war gut, dass auch der Oberbürgermeister anwesend war und seine Solidarität zum Ausdruck brachte.
Mit der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg kooperieren Sie schon seit längerem...
Ja, wir kooperieren seit nunmehr 10 Jahren sehr eng mit dem Leo-Trepp-Lehrhaus der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg – und ermöglichen so auf vielfältigen Ebenen Begegnungen. Unter anderem laden wir jedes Jahr gemeinsam zu einer öffentlichen Vortragsreihe ein. Dies ist eine Reihe, in der zumeist jüdische Gelehrte aus aller Welt unterschiedliche Perspektiven auf die jüdische Geschichte, Religion und Kultur vermitteln. Durch die Vortragsreihe wollen wir auch die Öffentlichkeit für jüdisches Leben in Oldenburg sensibilisieren und auf den Beitrag des Judentums zur europäischen und deutschen Kultur aufmerksam machen. Im Rahmen der Jüdischen Studien führen wir auch Seminare mit der Oldenburger Rabbinerin Alina Treiger durch und geben unseren Studierenden die Möglichkeit, ein Praktikum in jüdischen Einrichtungen durchzuführen.
Studierende können sich mittlerweile seit mehr als 25 Jahren an der Universität Oldenburg in „Jüdischen Studien“ weiterbilden. Ein Jubiläum, das Sie am 4. Juli feiern. Was ist das Besondere an diesem Lehrangebot?
Die kultur- und geisteswissenschaftlichen Jüdischen Studien waren von Beginn an interdisziplinär aufgestellt und umfassten Lehrende aus den Fächern Evangelische Theologie, Geschichte und Philosophie. Im Mittelpunkt stand das Anliegen, die jüdische Geschichte und Religion als integralen Bestandteil der deutschen und europäischen Geschichte und Kultur darzustellen. Außerdem möchten wir unsere Studierenden zu kulturellen Mittlern zwischen jüdischer und christlicher Tradition und auch im Bezug zum Islam ausbilden. Unsere Zeit ist von stark polarisierten Debatten – etwa über Migration oder die konfliktreichen Auseinandersetzungen im Nahen Osten – und dem erstarkenden Antisemitismus geprägt. Eine grundständige interreligiöse und interkulturelle Bildung, gerade auch für Lehrkräfte, ist daher besonders wichtig.
Die „Jüdischen Studien“ wurden ursprünglich als Magisternebenfach gegründet. Wie kam es damals dazu?
Die Gründung ging auf eine Initiative des damaligen Universitätspräsidenten Michael Daxner zurück. Das Programm war gerade nicht als typisches Judaistikstudium gedacht und zunächst in den Sozialwissenschaften verortet. Bereits Professor Daxner hat die Jüdischen Studien gemeinsam mit einem großen Kreis von Kolleginnen und Kollegen interdisziplinär aufgesetzt. Der Schwerpunkt des Lehrangebots lag auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Initiatoren des Studiengangs sahen es als pädagogisch-politische Aufgabe an, dem Antisemitismus entgegenzuwirken. Das ist auch heute noch so: Wir tragen das Lehrangebot aus unterschiedlichen Fächern zusammen. Wir bieten eine wichtige Ergänzung für diejenigen an, die sich mit der Geschichte, der Religion, der Kultur und ihrer Wirkung sowie mit dem Judentum in der deutschen Gegenwartsgesellschaft auseinandersetzen wollen. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit dem Antisemitismus und seinen geschichtlichen Wurzeln. Das ist eine Bereicherung für alle – auch für Studierende aus ganz anderen Studiengängen, etwa im naturwissenschaftlichen Bereich.
Wie sieht das Studium heute aus?
Im Zuge der Bologna-Reform war das ursprüngliche Magisternebenfach „Jüdische Studien“ ausgelaufen. Die Arbeitsstelle „Jüdische Studien“ an der Uni wollte aber die Jüdischen Studien in das modularisierte Studium integrieren, damit sie weiter studierbar sind. Zusammen mit meiner Kollegin Dagmar Freist aus dem Institut für Geschichte und in enger Abstimmung mit der damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg, Sara-Ruth Schumann, schlossen wir 2011 einen Kooperationsvertrag mit dem Leo-Trepp-Lehrhaus und führten das Master-Zertifikatsprogramm „Interkulturelle Jüdische Studien“ ein, das sich an Studierende der Geschichte, Philosophie und Theologie richtete. Durch das Zertifikat war es für Studierende der Geisteswissenschaften möglich, eine zusätzliche Qualifikation für ihre spätere Tätigkeit im außerschulischen Bereich, etwa in Museen, im Journalismus oder im Verlagswesen zu erlangen.
Seit dem Wintersemester 2020/21 führen wir die „Jüdischen Studien“ in dem breiter angelegten Professionalisierungsprogramm "Transkulturelle interreligiöse Studien" fort. Es knüpft an die bestehenden Jüdischen Studien an und erweitert das Angebot. Die Planungen für den Master laufen aktuell. Die "Transkulturellen interreligiösen Studien" vermitteln Grundkenntnisse der jüdischen, christlichen und islamischen Religion und Kultur sowie auch der Interreligiösen Bildung. Diese Grundkenntnisse werden zum anderen eng verknüpft mit Studium der Verflechtungen von jüdischen, christlichen und muslimischen Lebensformen und Theologien. Mit diesem Programm gewinnen wir neue Perspektiven und erreichen mehr Studierende – auch, weil wir es fakultätsübergreifend anbieten. Wir haben beispielsweise auch Studierende aus der Chemie und den Wirtschaftswissenschaften. Offenbar gibt es ein Bedürfnis, sich grundsätzliche Kenntnisse über Religionen, ihre kulturprägende Wirkungsgeschichte und den interreligiösen Dialog zu verschaffen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich hoffe, dass das neue Bachelorprogramm „Transkulturelle Studien“ weiter Zuspruch findet, so dass auch Studierende jenseits der Geisteswissenschaften ihrem Studium eine neue Facette hinzufügen können. Und natürlich möchten wir die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Leo-Trepp-Lehrhaus fortsetzen. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn es eine Professur für Jüdischen Studien gäbe, um das Programm aufzuwerten und dauerhaft im Universitätsleben zu verankern.
Interview: Constanze Böttcher