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Pressemitteilung zum Einfluss von Kälte auf Grünkohl-Inhaltsstoffe

Grünkohlforschung am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften

Arbeitsgruppe Biodiversität und Evolution der Pflanzen

Kontakt

Dr. Christoph Hahn

Prof. Dr. Dirk Albach

Institut für Biologie und Umweltwissenschaften

+49 (0)441 798 3339

  • Nahaufnahme von Blättern

    Grünkohl mit krausen Blättern ist für Norddeutschland typisch. Universität Oldenburg / Ute Kehse

  • Junger Mann schaut zwischen Grünkohlpflanzen hervor.

    Christoph Hahn hat an der Universität zehn Jahre lang Grünkohl erforscht. Die Sorte „Ostfriesische Palme“ entwickelt besonders große Pflanzen. Universität Oldenburg / Ute Kehse

  • Totale auf die Grünkohlbeete, in denen unterschiedliche Sorten wachsen.

    Mehr als 30 verschiedene Grünkohlsorten wachsen in diesem Jahr auf den Freiflächen im nichtöffentlichen Teil des Botanischen Gartens. Universität Oldenburg / Ute Kehse

  • Blick von oben auf mehrere Palmkohlpflanzen

    Der aus Italien stammende Palmkohl hat längliche, dunkle Blätter. Universität Oldenburg / Ute Kehse

  • Zwei kohlkopfartige Pflanzen, im Hintergrund Tagetesblumen.

    Der amerikanische Grünkohl „Champion“ hat hellgrüne, breite Blätter und erinnert an einen Wirsing. Universität Oldenburg / Ute Kehse

  • Mehrere große Grünkohlpflanzen von der SEite fotografiert.

    Die neue Sorte „Oldenburger Palme“ könnte demnächst in vielen Gärten wachsen. Universität Oldenburg / Christoph Hahn

Master of Grünkohl

Das beliebte Wintergemüse ist seit rund zehn Jahren ein Forschungsthema an der Universität. Christoph Hahn hat sich in seiner Promotion intensiv mit Grünkohl beschäftigt – und ist auf eine erstaunliche Vielfalt gestoßen.

Das beliebte Wintergemüse ist seit rund zehn Jahren ein Forschungsthema an der Universität. Christoph Hahn hat sich in seiner Promotion intensiv mit Grünkohl beschäftigt – und ist auf eine erstaunliche Vielfalt gestoßen.

Es ist ein trüber Montag im Oktober, der Regen wechselt immer wieder zwischen Niesel und kräftigen Schauern. Vor der Einfahrt zum Gelände mit den Gewächshäusern und Versuchsflächen der Universität am Küpkersweg hat sich eine ausgedehnte Pfütze gebildet. „Grünkohlwetter“, sagt Dr. Christoph Hahn fröhlich. Zwar sind die Temperaturen noch nicht so kühl, wie es für den Verzehr des Gemüses in Norddeutschland üblich ist, doch den Grünkohlpflanzen auf den Freiflächen geht es prächtig: In drei nebeneinanderliegenden Beeten wuchern dicht gedrängt die verschiedensten Sorten. Viele Pflanzen sind erntereif, dazwischen blühen zur Abwehr von Raupen und Schnecken Studentenblumen und Kapuzinerkresse. Die Grünkohlvarietäten tragen klangvolle Namen wie „Winnetou“, „Lerchenzunge“, „Lacinato“, „Black Magic“, „Scarlet“, „Ditzum“ oder „Neuefehn“, ihre Form reicht von der hochgewachsenen „Ostfriesischen Palme“ mit ihren breiten, nur am Rand gekrausten Blättern über den kleineren, dunkel gefärbten Schwarzkohl „Nero di Toscana“ bis hin zur hellgrünen Sorte „Champion“, die optisch eher an einen Wirsing erinnert.

Von seiner Bachelorarbeit bis zur Promotion hat sich Christoph Hahn in der Arbeitsgruppe „Biodiversität und Evolution der Pflanzen“ von Prof. Dr. Dirk Albach dem norddeutschen Kultgemüse gewidmet, inzwischen hat er seine Dissertation fertiggestellt. Der Titel des Werks: „It’s all about kale“. Hahn verschaffte sich einen Überblick über die Sortenvielfalt des Grünkohls, führte genetische Analysen durch, untersuchte Inhaltsstoffe und erforschte, wie sich Umweltfaktoren auf die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe auswirken. Gewissermaßen den Abschluss seiner Grünkohlforschung bildete die Züchtung einer neuen Sorte, der „Oldenburger Palme“, die er am 5. November zur traditionellen Eröffnung der Grünkohlsaison auf dem Oldenburger Rathausmarkt vorstellt.

Die perfekte Sorte für den Anbau zu Hause

„Die Idee dahinter war es, eine Art ‚Supergrünkohl‘ zu züchten, die perfekte Sorte für den Anbau zu Hause oder auf kleineren Flächen. Sie sollte nicht nur viele gesunde Inhaltsstoffe enthalten und gut schmecken, sondern auch dekorativ aussehen“, berichtet Hahn. Das Resultat der mehrere Jahre dauernden Kreuzungsversuche kann sich sehen lassen: Die Oldenburger Palme hat einen hohen Wuchs, große, leicht rötliche, krause Blätter und sie kommt gut mit sommerlicher Trockenheit klar. Hahn bescheinigt ihr außerdem „einen ausgewogenen Geschmack“.

Die Züchtung der neuen Sorte sei indes nur ein Nebenaspekt seiner Dissertation gewesen, betont der Biologe. Ihm ging es vielmehr darum, die Diversität des Gemüses zu erforschen, von der genetischen Vielfalt bis hin zu den Inhaltsstoffen. „Anders als bei Kartoffeln oder Äpfeln, von denen im Handel verschiedene Sorten erhältlich sind, wissen die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher nicht, dass es auch beim Grünkohl eine große Vielfalt gibt“, berichtet Hahn. Selbst in der Forschungsliteratur sei in der Vergangenheit einiges durcheinandergegangen: „Der amerikanische ‚kale‘ ist nicht das gleiche wie unser Grünkohl“, erzählt er. Doch wie diese Unterschiede genau aussehen, welche Eigenschaften für welche Varietät charakteristisch sind, sei oft nicht bekannt gewesen. „Ich habe versucht, da etwas Ordnung reinzubringen“, sagt er. Dafür habe er „die ganze Bandbreite der Grünkohlvielfalt“ erfassen wollen.

Für seine Forschung trug er aus aller Welt Saatgut zusammen und brachte es dabei auf rund 120 von geschätzt 150 weltweit existierenden Sorten. Die Samen stammten zum Beispiel aus den Niederlanden, Griechenland, Spanien, Russland, den USA oder auch Japan. Er kontaktierte kommerzielle Saatguthändler, Samenbanken, Botanische Gärten und Landwirte, um möglichst viele Varietäten zu finden, und gelangte so auch an allein etwa 30 alte ostfriesische Sorten. Jahr für Jahr baute er drei bis vier Pflanzen pro Sorte an, um zum Beispiel ihr Erbgut zu untersuchen. Bei etwa 30 bis 40 Sorten führte er zudem Analysen der Inhaltsstoffe durch.

Norddeutsche Grünkohlsorten mit krausen Blättern bilden eine eigene Gruppe

Um die Verwandtschaftsverhältnisse der Kohlsorten zu klären, setzte Hahn eine neue Methode ein, mit der sich besonders detaillierte Ergebnisse erzielen lassen. Dabei kam heraus, dass es beim Grünkohl mindestens vier genetisch verschiedene Gruppen gibt: Eine Gruppe bilden die für Norddeutschland typischen Sorten mit krausen Blättern. Außerdem gibt es amerikanische Sorten mit breiteren, dicken und oft glatten Blättern, die der Wildform des Kohls ähneln. Eine dritte Gruppe bilden die italienischen Sorten. Sie besitzen längliche, dunkle Blätter und sind auch als Palmkohl oder Schwarzkohl bekannt. Weiterhin existiert eine sibirische Gruppe mit eher niedrig wachsenden Sorten, die gezackte Blätter aufweisen und besonders winterhart sind.

Jede dieser Gruppen, so ein weiteres Ergebnis, verfügt über ein typisches Profil an Inhaltsstoffen: So enthalten die amerikanischen Sorten besonders viele Glucosinolate (Senfölglycoside). „Sie schmecken herber und ‚kohliger‘ als unser norddeutscher Grünkohl“, berichtet Hahn. In den USA gilt „kale“ als Superfood und wird trotz des eigenwilligen Geschmacks oft roh als Smoothie oder im Salat gegessen. Die italienischen Varietäten sind hingegen milder, enthalten wenig Glucosinolate und eignen sich ebenfalls gut zum Rohverzehr. Teilweise wird dieser Palmkohl ähnlich wie Spinat blanchiert, als Salat und sogar auf der Pizza gegessen. Die norddeutsche Kohlkultur sei allerdings einzigartig, hat Hahn im Laufe seiner Forschung erfahren: „Dass man Grünkohl vor allem im Winter isst und vorher stundenlang kocht, ist in anderen Ländern nicht verbreitet“, berichtet er.

Im Zuge seiner Untersuchungen zu den wichtigsten Inhaltsstoffen des Grünkohls stellte der Biologe eine in Norddeutschland verbreitete Weisheit auf den Prüfstand: dass Grünkohl erst nach dem ersten Frost geerntet werden sollte. In umfangreichen Versuchen setzte er mehrere Grünkohlsorten zunächst warmen und dann kalten Temperaturen aus und nahm zu verschiedenen Zeitpunkten Proben von den Blättern. Das Ergebnis: „Grünkohl fängt schon bei einstelligen Plusgraden an zu frieren“, erzählt Hahn. Schon an den ersten kalten Herbsttagen, so zeigten seine Experimente, werden bestimmte Inhaltsstoffe abgebaut. Bei diesem Prozess bildet sich Zucker, der wiederum in den Blattzellen eingelagert wird, um den Photosyntheseapparat der Pflanzen vor Frostschäden zu schützen. „Würde das erst bei Frost passieren, wäre es zu spät“, sagt Hahn. Je länger die Kälte anhält, desto mehr Zucker wird gebildet – ein Grund dafür, dass Grünkohl tatsächlich süßer schmeckt, wenn er eine gewisse Zeit lang niedrigen Temperaturen ausgesetzt war.

Bei Kälte verändern sich die Inhaltsstoffe

Auch die Zusammensetzung bestimmter sekundärer Pflanzenstoffe im Kohl verändert sich bei Kälte. „Wir sehen interessante Profile bei verschiedenen Sorten“, berichtet Hahn. Was genau passiert, beschrieb er in einer kürzlich veröffentlichten Studie gemeinsam mit Albach und zwei Forschenden der Constructor University in Bremen in der Zeitschrift Horticulturae. Demnach produzieren sowohl krause Grünkohlsorten als auch Palmkohl bei kalten Temperaturen mehr dieser sogenannten Glucosinolate. Bei der Wildform, die grundsätzlich einen höheren Gehalt dieser Stoffe aufweist, verringerte sich die Menge dagegen. Das Resultat überraschte das Team: „Wir hätten auf Basis unserer bisherigen Untersuchungen nicht erwartet, dass der Palmkohl genauso reagiert wie die krause Sorte, da er an ein wärmeres Klima angepasst ist“, berichtet Hahn. Um Pflanzen mit einem verbesserten Nährstoffgehalt zu ziehen, sollte man sowohl auf die Temperatur als auch auf die kultivierte Sorte achten, so der Rat des Grünkohl-Experten.

Oldenburger Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner haben demnächst die Gelegenheit, die von Hahn gezüchtete Grünkohl-Varietät „Oldenburger Palme“ selbst anzupflanzen – und im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts zur weiteren Erforschung des Gemüses beizutragen: Zum Beginn der Oldenburger Grünkohlsaison am 5. November verteilt der Forscher des Instituts für Biologie und Umweltwissenschaften auf dem Rathausmarkt Tütchen mit Saatgut der neuen Sorte. Das Forschungsteam hofft auf Rückmeldungen dazu, wie sich der „Supergrünkohl“, der auf Basis von zwei alten ostfriesischen Sorten und einer amerikanischen Varietät entstanden ist, an unterschiedlichen Standorten entwickelt. „Diese Sorte ist nicht so einheitlich wie eine, die einen regulären Sortenanmeldeprozess durchlaufen hat“, betont Hahn. Bei der „Oldenburger Palme“ können Merkmale verschieden ausgeprägt sein. Manche Individuen hätten beispielsweise mehr grüne Blätter, andere rötliche mit violetten Adern. Für den Forscher ist die Züchtung daher nicht nur ein bleibendes Ergebnis seiner Forschung – sondern auch ein Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt.

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