In der Schule spielt Sprache als Medium der Kommunikation und Vermittlung eine zentrale Rolle. Wie man Lehrkräfte darin ausbildet, sensibel mit Sprache umzugehen, erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen.
Fast 20 Jahre ist es her, dass die Ergebnisse der ersten PISA-Studie in Deutschland für Furore sorgten: Nicht nur waren die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler unterdurchschnittlich. Schockiert hat vor allem der Befund, dass der Bildungserfolg in diesem Land so stark wie in kaum einem anderen mit der sozialen Herkunft korreliert. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund – PISA bringt diesen mit bestimmten sozioökonomischen Verhältnissen in Verbindung – hätten in Deutschland schlechte Chancen auf Erfolg im Bildungssystem. Eine der zentralen Ursachen für diesen Zusammenhang war schnell identifiziert: mangelnde sprachliche Fähigkeiten.
Sprachliche Normen bleiben oft implizit
Doch nicht migrationsbedingte Mehrsprachigkeit sei der entscheidende Faktor dafür, wie gut oder schlecht Kinder und Jugendliche mit den sprachlichen Anforderungen im Unterricht umgehen können, erklärt Juliana Goschler, Professorin für Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache. Es gehe vielmehr um die sogenannten bildungssprachlichen Kompetenzen. „Der Begriff Bildungssprache grenzt die im Alltag gesprochene Sprache ab von der Art und Weise, wie in Bildungseinrichtungen gesprochen wird. Und dieses sprachliche Register beherrschen nicht alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen“, sagt Goschler.
Zudem seien die sprachlichen Anforderungen von Fach zu Fach unterschiedlich: „Das kann ein bestimmtes Vokabular sein, aber auch bestimmte Satzkonstruktionen oder Zeitformen sind für manche Fächer typisch“, erklärt sie. So seien Texte in den Lehrbüchern der Geschichte häufig im Präteritum verfasst, während dieses Tempus in anderen Fächern gar nicht auftaucht. In den Naturwissenschaften wiederum finde man häufig rezeptartige Formulierungen à la „Wollen wir x berechnen, so müssen wir …“. Diese sprachlichen Normen würden häufig implizit gehalten, kritisiert Goschler. Das hindere Schülerinnen und Schüler einerseits daran, diese sprachlichen Muster verstehen und selbst produzieren zu lernen, letztlich jedoch häufig auch daran, fachliche Inhalte zu lernen.
Lehrkräfte für die Bedeutung von Sprache sensibilisieren
Umso wichtiger sei es, angehende Lehrkräfte fächerübergreifend für die Bedeutung von Sprache in Schule und Unterricht zu sensibilisieren, sagt Goschler. „Das bedeutet, sich mit der eigenen Fach- und Unterrichtssprache und den Lehrmaterialien auseinanderzusetzen, die sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler erkennen und daran anknüpfen zu können, und schließlich eine kritisch-reflexive Haltung zu Sprache und Sprachbildung zu entwickeln.“ Wie das gelingen kann, hat die Sprachwissenschaftlerin unter anderem in dem vom 2014 bis 2017 laufenden Projekt „Umbrüche gestalten – Sprachenförderung und -bildung als integrale Bestandteile innovativer Lehramtsausbildung in Niedersachsen“ erforscht. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit: Die Perspektive der Sprachwissenschaften allein reicht nicht, um die sprachlichen Herausforderungen innerhalb der Fächer gänzlich zu erfassen und zu vermitteln. „Hier sind die Fachdidaktiken gefragt“, sagt die Hochschullehrerin, „denn die verstehen die fachspezifischen Lehr- und Lernprozesse am besten.“
Im Oldenburger „Zentrum für Lehrkräftebildung – Didaktische Zentrum“ (DiZ) gibt es mit der von Goschler geleiteten Arbeitsstelle „Sprachsensibles Lehren und Lernen“ seit 2016 eine Institution, die diesem Thema innerhalb der Universität einen festen Platz einräumt. Einige kürzlich bewilligte Projekte zur Professionalisierung der Lehrkräftebildung knüpfen daran an: Im Rahmen des Projekts „Biographieorientierte und Phasenübergreifende Lehrerbildung in Oldenburg“ (OLE+) beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen mit der Komplexität sprachlicher Interaktionen in der Schule und anderen Vermittlungskontexten. Einer der Schwerpunkte des Projekts DiOLL (Digitalisierung in der Oldenburger Lehrerinnen- und Lehrerbildung) ist es, die Anforderungen eines sprachsensiblen Fachunterrichts zu untersuchen.
Sprache in Bildungskontexten erforschen
Um den Status quo der Oldenburger Forschung zum Thema zu bündeln und sichtbar zu machen, hat Goschler gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler und Leiter des DiZ, Prof. Dr. Martin Butler, eine Schriftenreihe mit dem Titel „Sprachsensibilität in Bildungsprozessen“ initiiert. Den Auftakt der Reihe macht der von Butler und Goschler herausgegebene Sammelband „Sprachsensibler Fachunterricht. Chancen und Herausforderungen in interdisziplinärer Perspektive“.
„Die Beiträge verschiedener Oldenburger Forscherinnen und Forscher beleuchten fachdidaktische, sprach-, bildungs- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Sprache in schulischen Lernkontexten“, erklärt Butler. So geht es etwa um sprachliche und textuelle Anforderungen im Unterricht oder um die Frage, ob Sprachbilder wie „Pakete“ oder „Wolken“ für das fachliche Lernen im Informatikunterricht geeignet sind. Ein anderer Artikel beleuchtet, welchen Einfluss ein handlungsorientierter, das heißt an einer konkreten Übungssituation orientierter Technikunterricht auf Prozesse des Spracherwerbs haben kann, indem er Gelegenheiten für spontane, authentische Kommunikation schafft.
Auch die subjektivierenden Effekte von Sprache in der Schule sind Thema – gefragt wird danach, wie die Art und Weise, miteinander zu sprechen, soziale Beziehungen organisiert und reguliert. Welchen Effekt hat es etwa auf die Selbstwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen, immer wieder als „Schülerin oder Schüler mit Migrationshintergrund“ angesprochen zu werden? „Sprache trägt dazu bei, Menschen zu kategorisieren“, erklärt Goschler. Mit jeder Bezeichnung rufe man bestimmte Merkmale und Stereotype auf, schließt Menschen in eine bestimmte Gruppe ein oder von ihr aus. Gerade vor dem Hintergrund migrationsgesellschaftlicher Verhältnisse sei es wichtig, auch diese Dimensionen von Sprache weiter zu erforschen und Studierende mit Blick auf ihren späteren Beruf in Schulen dafür zu sensibilisieren, ergänzt Butler.
Sprachsensibel Geschichte unterrichten
Ebenfalls mit einem Beitrag im Sammelband vertreten ist die Arbeitsgruppe Geschichtsdidaktik um Prof. Dr. Dietmar von Reeken. Dass Sprache für das Fach Geschichte eine große Bedeutung hat, sei zwar nichts Neues, konstatiert der Historiker. „Denn der Zugang zur Vergangenheit geschieht in der Regel über Sprache, allen voran über schriftlich vorliegende Quellen oder schriftliche Darstellungen von Geschichte.“ In der geschichtsdidaktischen Forschung aber sei die Rolle von Sprache bisher kaum explizit thematisiert worden. Dabei birgt das Fach Geschichte besondere sprachliche Herausforderungen: „Wir haben keine explizite Fachsprache, wie etwa die Naturwissenschaften“, erklärt von Reeken. „Begriffe wie König oder Bürger kennt man zwar aus dem Alltag – in historischen Kontexten haben sie jedoch häufig eine ganze andere Bedeutung.“
Schülerinnen und Schüler müssen also permanent von der historischen in die gegenwärtige Sprache übersetzen. Hinzu kommt: Im Geschichtsunterricht sollen die Lernenden narrative Kompetenz entwickeln – also die Fähigkeit, Geschichte zu verstehen und auch selbst erzählen zu können – „und das auf sprachlich angemessene Weise“, betont von Reeken. Die Herausforderung für Lehrende ist also, nicht nur die Inhalte des Fachs zu vermitteln, sondern auch, welche sprachlichen Leistungen gefragt sind. Letzteres werde, so der Historiker, aber nicht systematisch zum Teil des Unterrichts gemacht. „Es wird irgendwie erwartet, dass sie das nebenbei lernen.“
Neue Förderkonzepte entwickeln
Wie Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler sprachlich so unterstützen können, dass sie besser historisch lernen, erforschen Sinje Eichner und Max-Simon Kaestner, die beide bei von Reeken promovieren. Eichner befasst sich dabei mit der Frage, welche Rolle die gesprochene Sprache im Fach Geschichte einnimmt – ein bisher wenig beachtetes Thema, obwohl im Unterricht viel gesprochen wird. Kaestner nimmt das Schreiben in den Blick. Für seine Doktorarbeit hat er ein Förderkonzept entwickelt, mit dem Schülerinnen und Schüler lernen, historische Urteile zu verschriftlichen. „Historisches Denken drückt sich auf sprachlicher Ebene in wiederkehrenden Formulierungsmustern, sogenannten Textprozeduren, aus“, erläutert er. Ein historisches Werturteil zeige sich etwa in Ausdrücken wie „nach heutigen moralischen Vorstellungen“ oder „aus heutiger Perspektive“. Um diese Textprozeduren zu erlernen, arbeiten die Schülerinnen und Schüler zunächst mit Modelltexten: „Sie analysieren, wie Textprozeduren verwendet werden und reflektieren, wie diese historisches Denken anzeigen. Anschließend üben sie, selbst historische Urteile zu schreiben“, erklärt Kaestner. Die Wirkung des Modells hat der Historiker bereits in einer Vorstudie untersucht.
Damit derartige Förderkonzepte letztlich auch den Weg in die Schulen finden, ist es für von Reeken unabdingbar, das Thema Sprache stärker in der Ausbildung von Lehrkräften zu verankern. Eine Forderung, die er mit Goschler und Butler teilt. Während Lehramtsstudierende in Berlin und Nordrhein-Westfalen schon seit Langem Module belegen müssen, in denen Sprache thematisiert wird, ziehen andere Bundesländer erst langsam nach. „In der niedersächsischen Masterverordnung steht zwar, dass das Thema Sprache angesprochen werden muss. Aber es gibt keine bildungspolitische Vorgabe, es modular in den Studiengängen zu verankern. Das muss sich ändern“, fordert Goschler. (nc)