Autokratische Regime, Kriege oder politische Verfolgung gefährden Forschende und Lehrende weltweit. Als Teil des internationalen Netzwerks „Scholars at Risk“ unterstützt auch die Universität geflüchtete Akademikerinnen und Akademiker.
Januar 2022: An der Boğaziçi-Universität in Istanbul werden drei Dekane entlassen, die aktiv an Protesten gegen den vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eingesetzten Rektor teilgenommen haben. An der türkischen Hochschule, Partnerinstitution unserer Universität, sehen sich seit Anfang 2021 Studierende und Lehrende, die gegen die Universitätsleitung protestieren, immer wieder Verfolgungen, Verhaftungen, Kündigungen und Gewalt durch die türkische Polizei ausgesetzt.
Die Vorgänge in Istanbul zeigen, dass die Freiheit von Forschung und Lehre – einer der Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft – keine Selbstverständlichkeit sind. Kriegerische Auseinandersetzungen oder politische Verfolgung bedrohen Forschende und Studierende; wegen ihrer Forschungstätigkeit oder aus religiösen Gründen können sie an vielen Orten ihrer Arbeit nicht nachgehen oder müssen sogar um ihr Leben fürchten. Und während Deutschland laut eines im März veröffentlichten Berichts weltweit den „Academic Freedom Index“ anführt, hat die Wissenschaftsfreiheit jüngst in etlichen Ländern abgenommen, und Forschende sind durch Autokratisierung bedroht.
Hilfe finden gefährdete und geflüchtete Akademikerinnen und Akademiker bei internationalen Organisationen wie dem im Jahr 2000 an der Universität Chicago gegründeten Netzwerk „Scholars at Risk“ (SAR). Zu Beginn des Jahres ist auch die Universität Oldenburg dem Netzwerk beigetreten: „Als Mitglied von SAR tragen wir dazu bei, Betroffenen Zuflucht zu bieten, und setzen ein Zeichen für die weltweite Wissenschaftsfreiheit“, sagt Universitätspräsident Prof. Dr. Ralph Bruder.
Konkrete Hilfe für Betroffene
Mehr als 500 Hochschulen und Institutionen aus 38 Ländern gehören inzwischen dem Netzwerk an, das Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit öffentlich sichtbar macht: 280 solcher Attacken registrierte SAR im Jahr 2021 – dazu zählen das Verschwinden und die Inhaftierung von Forschenden, die Beschränkung der Reisefreiheit oder der Verlust der Anstellung.
Im Mittelpunkt der Arbeit des Netzwerks steht jedoch die konkrete Hilfe für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Netzwerkpartner vermitteln Betroffenen vorübergehende Forschungs- und Lehraufenthalte in sicheren Drittstaaten. Über Notfallfonds können bedrohte Forschende unbürokratisch Hilfe erhalten, etwa, wenn sie ihr Land noch nicht verlassen können und vor Ort Unterschlupf finden müssen.
Wie wichtig diese Unterstützung ist, zeigt derzeit die traurige Bilanz des Angriffskriegs auf die Ukraine. Ebenso wie Millionen ihrer Landsleute mussten ukrainische Akademikerinnen und Akademiker fliehen, Hochschulen und wissenschaftliche Institutionen sind geschlossen oder sogar zerstört. Berichten zufolge verlassen auch russische und belarussische Studierende und Forschende, die den Krieg kritisieren und Verfolgung fürchten müssen, ihr Land.
Informationen bündeln
Auch die Universität Oldenburg erhält Anfragen. „Diese Hilfegesuche kommen von gefährdeten Forschenden, die teils noch im Herkunftsland und teils bereits in Oldenburg eingetroffen sind“, berichtet Jenka Schmidt, Leiterin des International Office (IO) der Universität. Aber auch Lehrende, die etwa Kontakte in die Ukraine haben, wenden sich an die Universität. Auch wenn die Zahl der Anfragen derzeit noch überschaubar ist, rechnet Schmidt mit einer Zunahme.
Inzwischen bündeln viele Universitäten, nationale und internationale Institutionen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und Netzwerke wie SAR ihre Informationen und setzen weitere Hilfsprogramme auf. „So können gefährdete Forschende ihre wissenschaftliche Arbeit für eine gewisse Zeit fortsetzen“, sagt Schmidt. Davon profitierten die aufnehmenden Institutionen letztlich auch selbst.
An der Universität Oldenburg fungiert das IO als Brücke zwischen den Betroffenen und den Einrichtungen der Hochschule, erläutert Schmidt. Ihr Team prüft zunächst, ob es eine fachliche Anknüpfung gibt. „Ist das der Fall, stellen wir den Kontakt zu Fakultäten und Instituten her. Zusammen mit unseren Lehrenden finden wir heraus, was wir möglich machen können.“ Dabei gelte es, die inhaltlichen Interessen der Betroffenen, aber auch die Bedürfnisse der Universität zu berücksichtigen.
Engagierter Einsatz des International Office
„Außerdem helfen wir konkret bei der Wohnraumsuche, bieten Veranstaltungen zur Vernetzung und beraten –
etwa zu Aufenthaltstiteln oder Versicherungen“, ergänzt Linda Book, die im IO erste Ansprechpartnerin für die gefährdeten Forschenden ist. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen unterstützt sie Betroffene darin, passende Stipendien oder Fördermittel zu finden. Bei der Beratung greifen die IO-Mitarbeitenden auf Erfahrungen und Strukturen zurück, die 2015 aufgebaut wurden, als viele geflüchtete Forschende und Studierende, vor allem aus Syrien, Hilfe suchten.
Für Book und Schmidt ist der Einsatz für die gefährdeten Forschenden und Studierenden letztlich nicht nur eine berufliche Aufgabe, sondern auch ein persönliches Anliegen. „Wir haben eine klare Botschaft: Kommt zu uns, wenn ihr unsere Hilfe braucht“, sagt Schmidt.