• Im Verein ReWIS steht der Spaß am gemeinsamen Sport im Mittelpunkt. Die Angebote richten sich nach den Bedürfnissen der Teilnehmer. Foto: ReWIS

Sport gemeinsam gestalten

Sport gilt als Motor der Integration. Doch stimmt das überhaupt? Zwei Oldenburger Nachwuchswissenschaftlerinnen werfen einen kritischen Blick auf Forderungen, die hinter dieser These stecken – und setzen ein eigenes Konzept dagegen.

Sport gilt als Motor der Integration. Doch stimmt das überhaupt? Die Oldenburger Nachwuchswissenschaftlerinnen Alexandra Janetzko und Micòl Feuchter werfen einen kritischen Blick auf Forderungen, die hinter dieser These stecken – und setzen ein eigenes Konzept dagegen.

Immer wieder beschwören Sportfunktionäre und Politiker die große integrative Kraft des Sports: Er vermittele Werte wie Fairness und Teamgeist und fördere den friedlichen Umgang miteinander. Sportvereine seien eine Schule der Demokratie. Menschen, die beim gemeinsamen Sport Freude und Leidenschaft teilen, wachsen auch außerhalb des Platzes zusammen, so die Idee. Zahlreiche Programme im Sport sollen die Integration von Geflüchteten und Menschen mit Migrationserfahrungen fördern. „Unsere strategischen Ziele bleiben erstens die Integration in den (organisierten) Sport und zweitens die Integration durch den Sport in die Gesellschaft“, heißt es etwa in einem 2014 erschienenen Grundlagenpapier des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Der Plan klingt gut, doch funktioniert er auch? Im Februar sorgte ein Vorfall bundesweit für Schlagzeilen, der zeigt, dass es nicht so einfach ist: Eine muslimische Frau wurde von einem Fitnessstudio in Hannover hinausgeworfen, weil sie mit Kopftuch trainieren wollte. Angeblich gab es Sicherheitsbedenken. Für Alexandra Janetzko, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Soziologie und Sportsoziologie am Institut für Sportwissenschaft, zeigt dieses Vorgehen beispielhaft, dass im Sport zwar viel über Integration geredet wird, damit allerdings meist kein wechselseitiger Prozess gemeint ist. „Häufig steckt eine Forderung nach Assimilation dahinter“, sagt sie. So auch in diesem Fall: „Die Bedürfnisse der betroffenen Frau spielten keine Rolle, von ihr wurde eine einseitige Anpassung verlangt.“

Teilhabe statt Integration

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Micòl Feuchter hat Janetzko sowohl in der Theorie als auch in der Praxis immer wieder mit der Frage zu tun, wie sich Integration im Sport erreichen lässt. Beide sind im 2016 gegründeten Verein „Refugees Welcome in Sports (ReWIS)“ aktiv. Das ursprünglich von Studierenden des Masterstudiengangs Sport und Lebensstil gegründete Projekt richtet sich an Geflüchtete, ist aber für alle Interessierten offen.

Darüber hinaus ist Janetzko, die gerade ihre Promotion beendet hat, an verschiedenen Initiativen zum Thema Migration beteiligt, zudem arbeitet sie derzeit in der Koordination des Orientierungsjahres für Geflüchtete. Micól Feuchter, Mitbegründerin von ReWIS, untersucht in ihrer Promotion, unter welchen Rahmenbedingungen ein Projekt im Sport als Integrationsprojekt ausgewiesen und anerkannt werden kann.

Die beiden haben kürzlich in der Fachzeitschrift „Sport und Gesellschaft“ eine Studie veröffentlicht, in der sie die Integrationsdebatte im Sport kritisch beleuchten. Ihr Fazit: In organisierten Sportprogrammen, die sich speziell an Geflüchtete oder Migranten richten, gehe es meist weniger um ein gleichberechtigtes Miteinander. Vielmehr werde es dieser Zielgruppe als eine Art Bringschuld auferlegt, sich durch den Sport in die Gesellschaft zu integrieren. „Die Menschen müssen etwas tun, um sich in bestehende Strukturen einzufügen“, erläutert Feuchter. Die Annahme, dass durch den Sport Werte vermittelt werden, impliziere zudem, dass es den Zugewanderten an bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten fehle.

Verschiedene Studien zeigen, dass Wunsch und Wirklichkeit häufig tatsächlich auseinanderklaffen. So sind Migranten in klassischen Vereinen unterrepräsentiert, insbesondere Frauen und Mädchen sowie Personen, die im Alltag kaum Deutsch sprechen oder einen niedrigen Bildungsabschluss haben. Noch seltener sind Zugewanderte als Trainer oder ehrenamtliche Funktionäre aktiv. Andere Untersuchungen haben ergeben, dass es im organisierten Vereinssport Integrationshindernisse gibt, etwa feste Mitgliedsbeiträge, die Konzentration auf den Wettkampfsport und gewisse Erwartungen an die Mitglieder, sich ehrenamtlich zu engagieren. „Klassische Sportvereine sind theoretisch offen, tatsächlich gibt es aber viele strukturelle Barrieren“, sagt Janetzko.

Ergänzung zu traditionellen Vereinen

Sie und Feuchter setzen dem Begriff der Integration den der Teilhabe entgegen. Die Wissenschaftlerinnen plädieren dafür, Sportangebote für Geflüchtete und Migranten mehr an deren Bedürfnissen auszurichten und ihnen Möglichkeiten zur gleichberechtigten Mitgestaltung zu bieten. Wie das praktisch aussehen kann, zeigen die Forscherinnen in ihrer Studie am Beispiel von ReWIS, dem Oldenburger Sportprojekt für Geflüchtete.

Die beiden engagieren sich im Verein unter anderem als Übungsleiterinnnen. Gleichzeitig begleiten sie das Projekt wissenschaftlich. „Wir treffen uns alle zwei Wochen im Team, um neue Ideen zu besprechen und darüber zu reflektieren, ob die Angebote noch unserem Grundgedanken entsprechen“, berichtet Feuchter. Der besteht darin, dass die Angebote niedrigschwellig, offen und unverbindlich sein sollten. Es gehe nicht um Leistung, sondern um Spaß am Spiel und am gemeinsamen Sporttreiben, heißt es auf der Webseite des Vereins.

ReWIS sieht sich nicht als Konkurrenz zu traditionellen Vereinen, sondern als Ergänzung dazu. Zum Konzept gehört es, dass die Teilnahme kostenlos ist und dass man auch ohne Vereinsmitgliedschaft oder Vorkenntnisse in einer Sportart mitmachen kann. Der reguläre Beitrag für Mitglieder kann selbst bestimmt werden und fängt bei einem Euro pro Monat an. Die Sportstätten sind gut erreichbar, und wenn jemand keine Turnschuhe hat, versuchen die Organisatoren, welche zu beschaffen. Mit diesem Konzept hat ReWIS bislang rund 500 Personen erreicht. „Die Flexibilität und Unverbindlichkeit, die wir bieten, ist nicht nur für Geflüchtete interessant, es kommen zum Beispiel auch viele Studierende“, sagt Feuchter.

Dem Grundgedanken der Teilhabe entsprechend haben sich die Angebote von ReWIS seit der Gründung immer wieder verändert. Beim Sportangebot für Frauen stellten die Übungsleiterinnen beispielsweise fest, dass für viele Teilnehmerinnen gar nicht Yoga oder Fitness im Vordergrund stehen. Einige nutzen den Termin, um sich von den Übungsleiterinnen beim Ausfüllen von Dokumenten helfen zu lassen oder sich mit Freundinnen auszutauschen, während die Kinder betreut werden. „Das hat uns erst irritiert, aber dann ist uns klar geworden, dass auch das eine Form der selbstbestimmten Teilhabe ist“, sagt Janetzko. Partizipation bedeute eben auch, sich gegen die Teilnahme an einem Angebot zu entscheiden – oder die Möglichkeiten entsprechend der eigenen Interessen zu nutzen.

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