Praxisnahe Module durchzuführen zählt in Zeiten von Corona zu den schwierigeren Aufgaben für Lehrende. Für das „Maker’s Lab“, einen praktischen Kurs im Masterstudiengang Informatik, ließen sich Susanne Boll und ihr Team etwas Besonderes einfallen.
In einem normalen Semester ist das „Maker’s Lab“ eine lebendige Veranstaltung: In dem Lehrmodul der Masterstudiengänge Informatik und „Engineering Socio-Technical Systems“ stehen Ausprobieren und Tüfteln auf dem Programm. Die Studierenden entwickeln ein interaktives System, zum Beispiel ein Roboterfahrzeug mit Sensoren, dessen Kurs sich durch eine Tastatur steuern lässt. In den zweiwöchentlichen Sitzungen fertigen die Teilnehmenden zunächst Prototypen aus Pappe, Klebstoff und anderen Alltagsmaterialien an. Sie probieren verschiedene Varianten aus, stellen fertige Bauteile aus Holz oder Metall her, stecken die elektronischen Komponenten zusammen und präsentieren am Ende ein funktionsfähiges System. In engem Austausch mit ihren Tutoren erfahren die Studierenden so, wie man schrittweise ein Produkt entwickelt: „Sie beginnen mit einer Problemstellung und verfeinern ihren Entwurf mit dem Feedback, das sie von uns Dozentinnen und Dozenten, aber auch von potentiellen Anwendern erhalten, meist sind das Freunde oder Bekannte“, berichtet Prof. Dr. Susanne Boll, Hochschullehrerin für Medieninformatik an der Universität Oldenburg.
Die Studierenden lernen dabei zum einen eine Reihe von Techniken für das sogenannte Rapid Prototyping kennen, also Verfahren, um mit einfachen Mitteln den Prototypen eines Produkts zu entwickeln. Zum anderen erfahren sie, dass beim Design von Hardware nicht nur die Anforderungen der Fertigung, sondern auch die Bedürfnisse der Anwender eine wichtige Rolle spielen.
Zusammenarbeit ohne persönliche Treffen
Ein Lehrformat, das sich bewährt hat – bis sich im Sommersemester 2020 alles änderte. Wegen der Corona-Pandemie konnte die Veranstaltung nun nicht mehr an der Universität stattfinden, was Boll und ihren Kollegen Tobias Lunte und Dr. Heiko Müller einiges Kopfzerbrechen bereitete. „Wir haben auf dem Campus eine voll ausgestattete Werkstatt, unser ‚FabLab‘, mit High-Tech-Werkzeugen wie 3D-Druckern, Laser-Schneidegeräten und 3D-Scannern“, berichtet die Informatikerin. Wie sollten die 15 teilnehmenden Studierenden ihr Projekt ohne diese Möglichkeiten durchführen? Und wie könnte es gelingen, dass sie weiterhin in Zweier- oder Dreier-Gruppen zusammenarbeiteten, ohne sich persönlich zu treffen?
Das Team beschloss, anders als sonst allen Studierenden die gleiche Aufgabe zu stellen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten eine Schatzkiste aus Holz entwerfen, die sich über einen digital gesteuerten Mechanismus öffnen lässt. Dafür mussten sich die Studierenden mehrere Rätsel inklusive integrierter Sensoren, Regler, Schalter und Aktoren zu einem Oberthema überlegen – je eines für jede der vier seitlichen Flächen des Holzwürfels.
„So ließ sich die Aufgabe in mehrere separate Probleme aufteilen, an denen die Studierenden einzeln arbeiten konnten“, erläutert Boll. Um den Prototyp zu entwickeln, erhielt jeder Teilnehmer einen Karton mit Zubehör. Die in Oldenburg wohnenden Studierenden konnten ihn an der Uni abholen, alle anderen bekamen ihn per Post zugeschickt. Enthalten waren beispielsweise Wäscheklammern, Strohhalme, Heftzwecken, Haushaltsschwämme, Tonpapier und Knete – Material, aus dem die Studierenden nach dem Prinzip „quick and dirty“ erste einfache Modelle ihrer Schatzkisten herstellten.
Alles für den Makerspace zu Hause
Drei Wochen später, nachdem sie ihre Idee ausgearbeitet und verfeinert hatten, erhielten die Studierenden ein zweites Paket mit den elektronischen Komponenten, darunter eine Steckplatine, Leuchtdioden, Sensoren und Aktoren, Widerstände und jede Menge Kabel. Wichtigster Bestandteil zur Steuerung des Gesamtsystems war ein Mikrocontroller, also ein kleiner Computerchip mit Prozessor, wie er auch in Alltagsgegenständen wie Waschmaschinen, Schaltuhren oder ferngesteuertem Spielzeug steckt. Benötigten die Studierenden für die Fertigung Laborarbeiten wie 3D-Druck oder Laserzuschnitt, konnten sie sich an die wissenschaftlichen Mitarbeiter wenden, die diese Komponenten dann erstellten.
Boll und ihre Kollegen betreuten die Studierenden zudem über regelmäßige Videokonferenzen, in denen die Teams Bilder, Audiobeiträge und Videos des Prototypenbaus präsentierten. Außerdem nutzten die einzelnen Teams eigene Chats und Videokanäle, um sich auszutauschen. „Die Veranstaltung benötigt ein hohes Maß an Interaktion – auch im Online-Semester“, sagt Boll.
Von den Ergebnissen war die Informatikerin begeistert: „Die Studierenden haben außerordentlich anspruchsvolle, kreative und voll funktionsfähige Rätselboxen entwickelt.“ Gemeinsam mit ihren Kollegen stellte Boll das Lehrkonzept in der Dezember-Ausgabe des IEEE Pervasive Computing Magazine vor. Besonders angetan waren die Lehrenden vom Einfallsreichtum ihrer Studierenden: Eine Gruppe entwickelte Rätsel zu verschiedenen Alphabeten, eine andere konstruierte eine Art Tresor und wählte als Thema die Eroberung des Aztekenreichs durch den spanischen Konquistador Hernán Cortés. Bei einem dritten Team spielten Münzen und ein elektronisches Musikinstrument, das Theremin, wichtige Rollen, um die Schatzkiste zu knacken.
Hervorragende Ergebnisse
Die größten Herausforderungen tauchten beim Zusammenbau der Boxen auf. Kabel waren zu kurz, Teile an der falschen Stelle angeklebt oder es ergab sich ein gewaltiger Kabelsalat im Inneren der Rätselbox. „All das hätten die Studierenden in einem normalen Semester sicherlich schon eher bemerkt“, sagt Boll. Am Ende habe sich gezeigt, dass die hervorragenden Ergebnisse auch daraus resultierten, dass die Studierenden weit mehr Arbeit in ihre Projekte stecken mussten als in früheren Kursen. Bolls Fazit: „In zukünftigen Veranstaltungen sollten wir verstärkt darauf achten, unsere Erwartungen klar zu benennen, damit der Aufwand für die Studierenden vertretbar bleibt.“
In einer Umfrage gaben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, dass sie sich gut in das neue Gebiet einarbeiten konnten, auch wenn sie zuvor keine Erfahrung mit Prototyping und Elektronik gehabt hatten. Zwar fühlten sich einige durch die Situation etwas eingeschränkt, sie bemängelten etwa den fehlenden Zugang zum Labor oder dass es keinen gemeinsamen Entwicklungsprozess gab. Vielen gefiel das flexible, freie Arbeiten jedoch auch: Sie empfanden es als besonders produktiv. Für Boll war die neue Form der Lehre durchaus eine positive Erfahrung: „Der Großteil der Studierenden war am Ende sehr zufrieden mit dem Konzept und der Organisation der Lehrveranstaltung.“