Universitätsbetrieb in Zeiten knapper Energieressourcen: eine Herausforderung. Vizepräsident Jörg Stahlmann im Interview über höchste Priorität für ein Präsenz-Semester und über Chancen, die es jetzt zu nutzen gilt – auch im Hinblick auf die angestrebte Klimaneutralität der Uni.
Viele Menschen haben zuletzt ihre monatlichen Abschlagszahlungen für Strom und Gas anpassen – genauer gesagt: deutlich erhöhen – müssen. Wie sieht es bei der Uni aus?
Wir haben ebenfalls Abschlagszahlungen. Bei einer bisher jährlichen Energiekostenrechnung von jeweils ungefähr fünf Millionen belaufen sich die monatlichen Kosten derzeit auf etwa 450.000 Euro…
Heißt das, die Universität ist womöglich bald bei monatlich einer Million Euro – oder kommt das dicke Ende später mit der Jahresabrechnung?
Auch als Privatabnehmer agiert man ja so, dass man sich einen möglichst günstigen Vertrag ausguckt und eine gewisse Laufzeit vereinbart, um für diese Vertragsdauer die Sicherheit einer Preisbindung zu haben. Eine solche Preisbindung greift aktuell glücklicherweise für die Universität. Und zwar sind wir im Verbund der Landesverträge, die Universität ist also Teil einer landesweiten Ausschreibung sowohl bei Gas als auch bei Strom. Die jüngste Ausschreibung erfolgte zu einer Zeit, wo es im Verhältnis zu heute noch günstig war. Für Strom müssen wir mit einer deutlichen Erhöhung im nächsten Jahr rechnen. Unsere Gasverträge laufen noch bis Ende 2023.
Das ist ja zumindest eine kleine gute Nachricht.
Das ist auf jeden Fall positiv. Die Mehrkosten einer Gasumlage hätten die Universität natürlich auch getroffen. Aber dabei ginge es eben noch nicht um eine Vervielfachung der Kosten. Diesen Zeitraum des Luftholens, in dem wir noch in alten Verträgen sind und uns die Preissteigerungen nicht sofort in vollem Umfang erwischen, diesen kleinen Vorsprung müssen wir jetzt geschickt nutzen und schauen, wie wir auf die zu erwartende Verdreifachung der Energiepreise reagieren können. Einen Gutteil werden wir als Universität wohl selber stemmen müssen – vermutlich nur mit einer Teil-Kompensation vom Land.
Wie bemüht sich die Universität um einen möglichst sparsamen Gas- und Stromverbrauch – auch, um sich auf mögliche Engpässe einzustellen?
Mit vielen größeren und kleinen Maßnahmen, von denen manche bereits umgesetzt sind. Unser Vorteil ist, dass wir uns als Universität schon vor mehr als einem Jahrzehnt auf den Weg gemacht haben, energetische Sanierung voranzutreiben und andere Energiequellen zu nutzen, etwa Photovoltaik. Mehr als 80 Prozent der geeigneten Dachflächen ist schon mit Photovoltaik belegt – eine deutliche Übererfüllung der gesetzlichen Vorgaben, da sind wir landesweit top und bundesweit unter den Top Ten. Vor allem aber ist das Strom, den wir in der Zukunft schon mal nicht teuer werden einkaufen müssen. Die Investitionen rechnen sich angesichts der steigenden Energiepreise also umso mehr. Da haben wir eher das Problem, dass Projekte nun wegen Lieferproblemen ins Stocken geraten – etwa weitere PV-Anlagen auf dem Dach der Freilufthalle Sport, die eigentlich im September montiert werden sollten.
Zumindest konnte die Universität so in den vergangenen Jahren ihre Energiekosten stabil halten…
Genau, das macht deutlich sichtbar, dass die Universität sozusagen schon vorgearbeitet hat, denn die fünf Millionen Euro Energiebudget stammen ungefähr aus dem Jahr 2010. Seither ist die Universität gewachsen, und trotzdem kommen wir damit hin. Jetzt geht es darum, weitere begonnene Maßnahmen zu Ende zu bringen. Dazu gehört etwa auch ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt, die Abwärme unseres Rechenzentrums als Wärmequelle nutzbar zu machen, aber wir wollen zum Beispiel auch weiter auf LED-Beleuchtung umstellen und die energetische Sanierung der Gebäude und vor allem der Technik vorantreiben.
Seit dem Frühjahr gibt es einen Krisenstab an der Universität, der sich mit dem Thema Energie beschäftigt. Was macht der genau?
Mit dem Aufkommen des Themas haben wir – wie seinerzeit auch anlässlich der Corona-Pandemie – diesen Krisenstab eingerichtet. Darin sind zum Beispiel ausgewählte Fakultäten vertreten und natürlich das Gebäudemanagement. Aufgabe des Krisenstabs ist es, gemeinsam mit den unterschiedlichen Akteuren aus der Universität mögliche Szenarien durchzuspielen. Was ist die kritische Infrastruktur in den Fakultäten? Und was sind mögliche Schritte, falls wir in noch größerem Maße Energie einsparen müssten? Immerhin hat die Bundesnetzagentur vor einigen Wochen festgelegt, dass Hochschulen bei Gas-Engpässen zum geschützten Kundenkreis gehören – ähnlich wie Krankenhäuser, die Feuerwehr, zentrale Teile der öffentlichen Verwaltung sowie Privathaushalte.
Das heißt, soweit Gas vorhanden ist, wird die Universität versorgt.
Genau, zuvor hätte die Universität potenziell zu den Einrichtungen gehört, denen als ersten sozusagen der Gashahn abgedreht worden wäre. Natürlich kann es sein, dass wir uns dennoch irgendwann zusammen mit allen anderen auf einen Engpass oder eine Rationierung einstellen müssen. Die Energieeinsparziele gelten für uns natürlich auch.
Welche Priorität haben Studium und Lehre in Präsenz bei den Planungen?
Ein Wintersemester in Präsenz hat für uns höchste Priorität. Da haben wir auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Unser Ziel muss es sein, unseren Studierenden hier vor Ort die Möglichkeit zu geben, an Lehrveranstaltungen teilzunehmen und sich zum Lernen auf dem Campus aufzuhalten. Sie haben bedingt durch die Pandemie genug entbehren müssen. Und: Würde nun jede und jeder in der eigenen Wohnung im Warmen lernen müssen, entstünden ihnen weitere höhere Kosten. Das halten wir grundsätzlich für keinen adäquaten Umgang mit der Situation und werden alles dafür tun, dass es anders läuft. Aber natürlich könnte es zum Beispiel nötig werden, dass die Universität Lehrveranstaltungen stärker auf bestimmte Gebäude konzentriert und andere Gebäude stärker „herunterfährt“, um Energie zu sparen. Auch für solche Überlegungen ist der Krisenstab zuständig.
Müssen sich denn Studierende, Lehrende und Beschäftigte darauf einstellen, dass sie demnächst in kalten Räumen lernen, lehren, arbeiten?
Soweit es sich verhindern lässt: nein. Allerdings durchaus in kühleren Räumen, auch aufgrund der neuen rechtlichen Vorgaben. Ich glaube, eine geringere Raumtemperatur ist – wenn erforderlich – als Beitrag zumutbar. Aber die Situation ist kein Grund für uns, vorzeitig aus dem Präsenzbetrieb zu gehen oder eine längere Winterpause zu machen.
Viele bemühen sich ja längst um energiesparsames Verhalten. Lässt sich im Unialltag noch etwas tun? Ist Ihnen persönlich noch ein Tipp untergekommen, wo Sie sagen, das beherzige ich neuerdings?
Momentan gibt es natürlich eine wahre Flut von Energiespartipps, sehr viele davon altbekannt. Ein Punkt, an dem ich mich persönlich allerdings hinterfragt habe, ist der Wohlfühlfaktor – meine individuelle Komfortzone. Sprich: Kann ich auch bei zwei Grad weniger im Büro arbeiten oder bei zwei Grad niedrigerer Wassertemperatur im Unibad schwimmen? Das ist ein Schritt, den man noch weiter gehen kann. Ansonsten: Licht aus bei Tageslicht, nicht gleichzeitig heizen und lüften – das machen wir doch schon alle! Vieles haben wir auch an der Universität in unser tägliches Tun aufgenommen – das sind Maßnahmen, die wir längst leben. Und wer diese noch nicht so verinnerlicht hat, kann sich nun anschließen.
Sie erwähnten schon einige Maßnahmen, mit denen sich die Universität für eine Zukunft mit deutlich höheren Energiepreisen wappnen will. Was gehört noch dazu?
Ein möglicher Ansatz, um den Haushalt zu entlasten, wäre das Reduzieren der zu bewirtschaftenden Flächen. Wir haben eine ganze Menge Räume angemietet, und jede Fläche, die wir nicht mehr anmieten müssen, reduziert die Verbräuche und insgesamt das Budget. So verzahnt sich die Thematik mit Corona, mit der Digitalisierung und neuen Arbeitsmöglichkeiten. Dabei ist unser Ziel ausdrücklich nicht eine Einsparung, indem die Universität aktiv Arbeitsplätze ins Homeoffice verlagert. Aber wenn sich denn Arbeitsplätze nach Hause verlagern – und das haben beziehungsweise das tun sie ja zu einem höheren Anteil – dann ließe sich im Umkehrschluss sagen: Jede und jeder soll seinen Arbeitsplatz hier haben, aber es könnte stärker darum gehen, Büros oder Schreibtische zu teilen. Das greift auch ineinander mit einem anstehenden Projekt des Präsidiums zur Zukunft der Arbeit. Für die Energiebilanz wünschenswert wären zudem größere Vorhaben wie eine Fassadensanierung des Gebäudes A1 bis A4 – da bräuchten wir hingegen ein Investitionsprogramm.
Auch wenn also die Preisentwicklung für die Universität momentan noch im Rahmen bleibt, sagen Sie, es fehlt einerseits an Kompensation vom Land für Mehrkosten und andererseits auch an Investitionen für größere energetische Maßnahmen zur Entlastung. Inwieweit macht unsere Uni das in Hannover zum Thema?
Den Investitionsstau bei Landesgebäuden allgemein und konkret bei Hochschulgebäuden zu beheben, haben alle großen Parteien im aktuellen Wahlkampf mehr oder weniger auf der Agenda. Da ist die Rede von Sonderprogrammen. Und die von uns als Universität angestrebte Klimaneutralität ist ebenfalls ein wichtiges Thema – auch da wissen alle Parteien, dass das nur mit Investitionen machbar ist. Wenn Niedersachsen da Vorreiter sein will, funktioniert das nur mit Investitionen. Zugleich sind wir noch dabei, die „globale Minderausgabe“ in Höhe von zwei Millionen Euro zu verarbeiten – eine dauerhafte Kürzung unseres Gesamtbudgets. Wir könnten an Vieles anknüpfen: In unserer Großtagespflege haben wir Wärmepumpen, das würden wir gern für die gesamte Universität weiterentwickeln. Auch bei der Planung des neuen Medizin-Standorts legen wir großen Wert auf Energieeffizienz. Weitere große Schritte können wir aber nur gehen, wenn die finanzielle Rahmung stimmt.
Sie erwähnten die Klimaneutralität…
Sie ist für uns ein zentraler Punkt. Alles, was wir in puncto Energiesparen machen, soll keine Momentaufnahme während der aktuellen Energiekrise bleiben, sondern auch in die Zukunft weisen. Die Situation katapultiert uns weit in die Frage der Klimaneutralität hinein. Viele Maßnahmen sind gute Beiträge, um diesem größeren Ziel ein Stück näher zu kommen. Es wäre schön, wenn der sorgsame Umgang mit Energie sich dauerhaft festigt. So können wir aus der aktuellen Krise auch vieles für die Zukunft mitnehmen.
Interview: Deike Stolz