Ein besonderes Projekt am Institut für Pädagogik hat in diesem Sommersemester Farbe in den Alltag einiger Grundschulen im Oldenburger Umland gebracht – und einigen Studierenden erste Praxiserfahrungen verschafft. Im Mittelpunkt des Vorhabens „Grundschule der Zukunft“ stehen Gemeinnützigkeit, Nachhaltigkeit und Kreativität.
„Das macht richtig Spaß“, ruft Janne vergnügt. Die Zweitklässlerin und ihre Freundin Paulina haben Malkittel an, halten dicke Pinsel in der Hand und sind mit Farbe bekleckst. Gemeinsam mit drei anderen Kindern sind sie als „Gruppe Kunterbunt“ dafür zuständig, zwei Tischtennisplatten auf dem Schulhof der Grundschule Osterscheps zu verschönern. Unterstützt von zwei Lehramtsstudentinnen der Universität malen sie sorgfältig große, weiße Punkte auf die bereits gelb leuchtende Platte – die Felder eines Mensch-Ärgere-dich-nicht-Spiels. „Die Platten sahen vorher ziemlich trostlos aus, und Tischtennis hat auch nie jemand gespielt“, berichtet Hille Schröder, Klassenlehrerin der 2b, zu der Janne und Paulina gehören. Daher hätten die Kinder vorgeschlagen, dass man die Platten für andere Spiele nutzen könnte.
Auch sonst ist Schröders „Mäuseklasse“ in dieser Woche Ende Mai schwer damit beschäftigt, die Schule bunter zu machen. Unter Anleitung von zehn Studierenden der Universität arbeiten die Schülerinnen und Schüler mit Begeisterung an mehreren Projekten. Einige Jungen pinseln weiße Linien auf den Schulhof, die demnächst die Straßen eines Verkehrsparcours für Kettcars bilden sollen. Eine andere Gruppe fertigt die dazugehörigen Straßenschilder an, ein weiteres Team hat fünf große Holztafeln mit fantasievollen Szenen bemalt, die eine Stahlrohrbarriere an der Bushaltestelle verzieren sollen. Außerdem entstehen auf einer Betonfläche vor der Schule mehrere Hüpfspiele.
Die Aktivitäten an der Grundschule Osterscheps im Ammerland sind Teil eines besonderen Vorhabens des Instituts für Pädagogik: Das Projekt „Grundschule der Zukunft“, geleitet von Dr. Juliane Schlesier, erprobt die Lehr-Lernmethode „Lernen durch Engagement“. Insgesamt nehmen rund 250 Schulkinder an vier Grundschulen teil – sowie 80 Lehramtsstudierende der Universität, überwiegend aus dem 2. Semester, die Schlesiers Seminar im Modul „Lehren und Lernen“ belegt haben.
Praxiserfahrungen bereits im zweiten Semester
Das Vorhaben, finanziell unterstützt von der Barthel-Stiftung als Hauptförderer sowie der EWE Stiftung, verfolgt gleich drei Ziele: Zum einen sollen die Grundschulen und die beteiligten Kinder ganz direkt von den umgesetzten Projekten profitieren, zum anderen werden den Studierenden früh erste Praxiserfahrungen ermöglicht. Zum dritten erhebt Schlesier begleitend Daten dazu, wie sich Lernen durch Engagement auf die sozialen Kompetenzen, die Persönlichkeitsentwicklung und die Schreibfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Die Projektleiterin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Empirische Lehr-Lern-Forschung unter Leitung von Prof. Dr. Barbara Moschner. An ihrer Studie sind auch Forschende der Universität Greifswald, der Universität Hamburg und der Universität Erlangen-Nürnberg beteiligt.
„Die Forschung ist sich so einig wie selten, dass diese Methode nur positive Auswirkungen hat, aber für den Grundschulbereich wurde das noch nicht systematisch erforscht“, sagt Schlesier, die alle Projekttage an den vier Schulen persönlich begleitet. „Lernen durch Engagement“ sei ein Konzept, das aus den USA stammt und dort „Service Learning“ heißt. Die Methode soll den Einsatz für das Gemeinwohl – sei es im sozialen, ökologischen, kulturellen oder politischen Bereich – mit fachlichem Lernen verbinden.
Sogar Unkrautzupfen macht Spaß
Dass diese Kombination gut ankommt, lässt sich an der Grundschule Osterscheps unschwer beobachten. „Kinder, Eltern, die Studierenden – alle sind begeistert“, berichtet Lehrerin Hille Schröder, die selbst großen Enthusiasmus ausstrahlt. Die starke Motivation der Schülerinnen und Schüler erklärt sie sich dadurch, dass diese die Projekte selbst planen und ihre eigene Umwelt gestalten können. „Sie machen sogar Dinge mit Freude, die eigentlich nicht so attraktiv sind, zum Beispiel Unkraut an der Bushaltestelle zu zupfen“, erzählt sie. Oder sie finden Spaß an bislang ungeliebten Tätigkeiten – wie Janne, die normalerweise nicht gerne malt, heute aber mit Eifer dabei ist. „Die Kinder lernen, ohne es zu merken“, ist die Pädagogin überzeugt.
Denn auch das fachliche Lernen kommt nicht zu kurz, betont Schlesier: „Die Kinder lesen Anleitungen, schreiben Pläne, machen sich Notizen in einem Lerntagebuch – so eignen sie sich spielerisch Lese- und Schreibkompetenzen an.“ Am Ende stellen alle Gruppen ihre Ergebnisse mit Plakaten und teils sogar Filmen auf einer Abschlussfeier vor, zu der auch die Eltern kommen dürfen.
Dass in Osterscheps alles so glatt läuft, liegt auch an den zehn Studierenden, die eine Woche lang jeden Tag gemeinsam mit den Kindern die Projekte umsetzen. „Die Studierenden haben sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht und organisatorisch einiges vorbereitet“, sagt Schlesier. Viele haben das Seminar wegen der Möglichkeit gewählt, Praxisluft zu schnuppern. Zum Beispiel Ineke Klaaßen, die das Lehramt Sonderpädagogik und Elementarmathematik studiert: „Ich finde es richtig toll, mit den Kindern zu arbeiten“, sagt sie. Auch für Lukas Rau, der Elementarmathematik und evangelische Religion studiert, ist die Erfahrung an der Schule ein Gewinn. Nach vier Tagen mitten im Gewusel auf dem Schulhof hat sich für ihn bestätigt: „Ich will auf jeden Fall Grundschullehrer werden.“
Die Studierenden wachsen schnell in die Lehrerrolle hinein
Dr. Juliane Schlesier
Bildungsforscherin und Dozentin Schlesier hält es für ungemein wichtig, mehr Praxisanteile ins Lehramtsstudium zu bringen – einem Ziel, dem sich die Universität Oldenburg generell verschrieben hat. „Die angehenden Lehrkräfte werden im Studium hervorragend theoretisch ausgebildet, die schulische Realität sieht aber oft anders aus“, so ihre Beobachtung. Im Referendariat komme dann oft der Praxisschock – was mit ein Grund für die hohe Abbrecherquote im Vorbereitungsdienst sein dürfte, die einer Studie des Stifterverbands zufolge bei zehn bis 15 Prozent liegt.
Schlesier hat ein ähnliches Projekt wie jetzt im Oldenburger Umland erstmals vor zwei Jahren während ihrer Zeit als Vertretungsprofessorin an der Uni Greifswald durchgeführt. Dort hat sie festgestellt, dass die Studierenden stark von der frühen Praxiserfahrung profitieren. „Die meisten sind zunächst unsicher, wenn sie den Kindern zum ersten Mal begegnen, wachsen aber schnell in die Lehrerrolle hinein“, erzählt sie. Besonderen Wert legt sie darauf, dass die Studierenden ihre Erfahrungen anschließend im Seminar aufbereiten und reflektieren können. So erlernen sie frühzeitig Strategien, um später stressige Situationen im Berufsalltag besser zu bewältigen.
Einblicke in den Alltag als Lehrkraft
Dass der Alltag als Lehrkraft Flexibilität und Stressresilienz erfordert, haben Lukas Rau und Ineke Klaaßen schnell gemerkt. „Es ist durchaus anstrengend“, gesteht Rau. „Unsere Planung war erst etwas zu ungenau, dadurch haben wir Zeitprobleme bekommen“, berichtet Klaaßen. Das habe man aber durch eine klarere Rollenaufteilung verbessern können. Einmal machte den beiden zudem das Wetter einen Strich durch die Rechnung. „Weil es plötzlich angefangen hat zu regnen, mussten wir spontan mit den Kindern vom Schulhof in die Turnhalle und uns schnell überlegen, was wir dort machen können“, erzählt die Studentin. Die Lösung: Sie setzten das Thema Parcours mit Bauklötzen und Spielzeugautos um.
So groß die allgemeine Begeisterung für das Projekt auch ist: Um ähnliche Seminare standardmäßig in die Lehramtsausbildung einzubauen, müsste der Umfang wohl abgespeckt werden, betont Schlesier. „Es funktioniert nur, weil alle Beteiligten sich besonders engagieren – nicht nur die Kinder und Lehrkräfte an den Schulen, sondern auch die Studierenden, meine studentischen Hilfskräfte Lilith Rothmund sowie Daniela Eckhoff und ich als Dozentin“, sagt die Bildungswissenschaftlerin. Doch letztlich überwiege bei allen die Motivation: „Von den Studierenden waren bislang immer alle da, es ist auch noch nie jemand zu spät zu einem Termin gekommen, obwohl sie keine Anwesenheitspflicht haben“, berichtet sie. Als an einer Schule ein Projekt nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit fertigzuwerden drohte, rückten einige Studierende sogar am Wochenende an – freiwillig, wie Schlesier betont.