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Pressemitteilung zur Bewilligung des Projekts "Arbeiten zwischen Home und Office"

Vorgängerprojekt "Digital - Mobil"

Abgeschlossenes BMBF-Projekt "prentimo - präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit"

Vita

Dr. Claudia Czycholl ist seit 2019 Referentin in der Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften der Universität. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin ist zudem Lehrbeauftragte und freiberufliche Trainerin mit den Schwerpunkten soziale Ungleichheit, Antidiskriminierung, Diversität und Gender.

Hiltraud Grzech-Sukalo begann 2016 mit der wissenschaftlichen Mitarbeit am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Organisation und Personal. Die Diplom-Psychologin mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie ist auch als Unternehmensberaterin und Dozentin tätig, vor allem zu Themen der Arbeitszeitgestaltung, etwa mobiler und flexibler Arbeitszeit, Schichtarbeit und Dienstplangestaltung.

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Dr. Claudia Czycholl

Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften

Hiltraud Grzech-Sukalo

Bereich BWL und Wirtschaftspädagogik

  • Viele Beschäftigte wollen in Zukunft gerne - wenn auch nicht ausschließlich - im Homeoffice arbeiten. Um dies in Zukunft noch besser zu gestalten, zielt das neue Projekt "Arbeiten zwischen Home und Office" auf klare betriebliche Regelungen sowie Weiterbildung auf allen Ebenen. Grafik: Gerlinde Domininghaus

  • Forschungsgegenstand und eigene Arbeitsrealität zugleich: die Expertinnen Claudia Czycholl (links) und Hiltraud Grzech-Sukalo selber im Homeoffice.

Zwischen Vertrauen und Kontrolle

Wie Arbeiten im Homeoffice und Führen auf Distanz gut gelingen, treibt gerade viele Menschen um – und beschäftigt auch ein Projektteam an der Universität. Zwei Expertinnen, derzeit selbst im Homeoffice, dazu im Interview.

Wie Arbeiten im Homeoffice und Führen auf Distanz gut gelingen, treibt gerade viele Menschen um – und beschäftigt auch ein Projektteam an der Universität. Zwei Expertinnen, derzeit selbst im Homeoffice, dazu im Interview.

Sie haben sich schon vor der Pandemie wissenschaftlich mit mobilem Arbeiten befasst, seit einigen Monaten sind Sie selber im Homeoffice. Hat das Ihren Blick aufs Thema verändert?

Hiltraud Grzech-Sukalo: Bevor ich 2016 in das Forschungsprojekt „prentimo“ eingestiegen bin, hatte ich als selbständige Unternehmensberaterin tatsächlich 20 Jahre mobil gearbeitet und keine Lust mehr, ständig durch die Gegend zu reisen. Die Arbeit im Projekt lief dann vorrangig im Homeoffice, gelegentlich gab es mit den Projektbeteiligten aus München, Köln, Berlin oder Stuttgart ein Treffen in Frankfurt. Insofern ist mir das Homeoffice vertraut. Die zurückliegenden Monate haben meinen Blick nun insoweit verändert, als ich dankbar bin für die vielen Online-Meetings und für einen Austausch nicht immer anreisen muss. Auch wenn mir das eine oder andere Gespräch „am Rande“ fehlt.

Claudia Czycholl: Das wissenschaftliche Arbeiten im Homeoffice war mir zwar schon vor der Pandemie vertraut, aber nun arbeite ich seit fast einem Jahr durchgängig von zu Hause aus. Dabei vermisse ich vor allem den direkten Kontakt und inhaltlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Zudem mache ich immer wieder die Erfahrung, wie schwierig es sein kann, die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben zu ziehen.

Homeoffice, Telearbeit und mobile Arbeit: Viele verwenden diese Begriffe synonym. Können Sie kurz erklären, wo der Unterschied besteht?

Grzech-Sukalo: Mobiles Arbeiten bezeichnet das Arbeiten außerhalb der Betriebsstätte, sie ist zeitlich und örtlich flexibel und ergibt sich oftmals aus den Aufgaben. Die Bandbreite mobiler Arbeit reicht von einer Dienstleistung bei Kundinnen bis hin zu Schreibarbeiten daheim am Schreibtisch. Homeoffice ist eine Form mobiler Arbeit.

Czycholl: Telearbeit oder Teleheimarbeit meint hingegen einen vom Arbeitgeber für einen festgelegten Zeitraum eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz im Privatbereich der Beschäftigten. Anders als beim Arbeiten im Homeoffice erfordert Telearbeit klare Rahmenbedingungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten.

Grzech-Sukalo: Da sind wir gleich bei einem Kernproblem: Beim Homeoffice ist ohne klare Regelungen in Betriebs- oder Dienstvereinbarung nicht gesichert, dass ich einen ergonomisch günstigen und technisch gut ausgestatteten Arbeitsplatz habe. Dies trifft auch auf die Finanzierung des Homeoffice-Arbeitsplatzes zu.

Sie haben sich in den letzten Jahren unter anderem damit befasst, wie sich das Arbeiten an wechselnden Orten gesundheitsförderlich gestalten lässt. Was ist Ihr wichtigster Tipp – an Beschäftigte und Unternehmen?

Czycholl: Häufig erwarten Vorgesetze eine permanente Erreichbarkeit der Beschäftigten, auch wenn sie dies nur selten direkt äußern. Beschäftigten kann es dadurch an ausreichenden Ruhezeiten fehlen. Es ist somit zentral, die Arbeitszeiten und die Erreichbarkeit klar zu regeln und einzuhalten. Vorgesetzte sollten dies idealerweise vorleben und bei Ihren Beschäftigten freundlich darauf achten. Denn wenn ich zwar um 17 Uhr Feierabend habe, aber bis spätabends noch E-Mails von dem oder der Vorgesetzten bekomme, kann mich das unter Druck setzen – es fällt schwerer, abzuschalten.  

Grzech-Sukalo: Fehlt eine klare Regelung, glauben manche Beschäftigten, permanent erreichbar sein zu müssen. Das wissen wir aus der prentimo-Studie. Es kann zu Schlafstörungen kommen und zu einem hohen Stresserleben. Oft kennen die Beschäftigten in puncto Arbeitszeiten auch die gesetzlichen Grundlagen zu wenig: Wenn Sonntags- oder Nachtarbeit nicht genehmigt sind, kann ein Unternehmen diese auch nicht erwarten – und wäre aus meiner Sicht in der Pflicht, seine Beschäftigten klar darüber zu informieren.

 

„Ein gutes Arbeiten im Homeoffice kann nur gelingen, wenn nicht zeitgleich Kinder zu betreuen sind.“
(Claudia Czycholl)

 

Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie, was das Arbeiten im Homeoffice angeht?

Czycholl: Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie lässt sich teilweise ein Rückfall in traditionelle Muster der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beobachten. So haben etwa während der Schul- und Kitaschließungen beim ersten Lockdown im Frühjahr Frauen die Hauptlast der Betreuungsarbeit und des Hausunterrichts übernommen. Hierfür sind viele beruflich kürzergetreten. Das Homeoffice kann in puncto Vereinbarkeit jedoch auch Vorteile haben: So lassen sich Arbeitszeiten anpassen oder so verteilen, dass man sein Kind zu einer bestimmten Zeit beispielsweise zur Kita bringen oder die Pflege von Angehörigen leichter integrieren kann. Wichtig ist: Ein gutes Arbeiten im Homeoffice kann nur gelingen, wenn nicht zeitgleich Kinder zu betreuen sind.

Grzech-Sukalo: Ein weiterer Knackpunkt ist, dass viele Unternehmen auch bei der zweiten Corona-Welle auf das Thema Führung auf Distanz nicht gut vorbereitet waren. Viele Führungskräfte sind meiner Erfahrung nach noch nicht ausreichend geschult darin, Teams auf Distanz zu motivieren, klare Absprachen zu treffen und Feedback zu geben. Außerdem fehlen Vorgesetzten nicht selten noch Handlungskompetenzen, um Arbeit gesundheitsförderlich zu gestalten. Der Fokus von Führungskräften liegt nach wie vor zu stark auf der Kontrolle der Beschäftigten. Führen auf Distanz kann aber nur durch eine gute Vertrauenskultur gelingen.

Kommt da das Thema Weiterbildung ins Spiel, das Sie als Teil des Projektteams im neu bewilligten Vorhaben „Arbeiten zwischen Home und Office“ angehen wollen? Führung auf Distanz sei „nichts für Kontrollfreaks“, steht im Abschlussbericht des Vorgängerprojekts „Digital – Mobil“…

Grzech-Sukalo: Genau, es geht darum, den Kontrollimpuls aus den Köpfen zu bekommen und zu sehen, welche Fähigkeiten brauchen Vorgesetzte für das Führen auf Distanz. Wir möchten dazu beitragen, dass die Unternehmensführungen Lösungen im Dialog mit den Beschäftigten entwickeln.

Czycholl: Nach unseren Erkenntnissen braucht es Weiterbildungsangebote in puncto Homeoffice eben auch für Vorgesetzte. Die Führungsaufgabe kann – salopp gesagt – nicht darin bestehen, dass ich jede halbe Stunde bei meinen Mitarbeitenden anrufe, um sicherzugehen, dass diese produktiv sind. Vertrauen muss her, ergebnisorientiertes Arbeiten ohne permanente Kontrolle während des Arbeitsprozesses. Dabei entstehen Fort- und Weiterbildungen selten präventiv, sondern aufgrund bestimmter Herausforderungen. Ob es um Leitungskompetenzen auf Distanz geht, ob zusätzliche IT-Kompetenzen oder Strategien zur Stressreduktion gefragt sind, es ist notwendig, für alle Beteiligten entsprechende Fort- und Weiterbildungen anzubieten. Dies betrifft auch Angebote für Betriebs- und Personalräte zu den Fragen: Wie lassen sich Beschäftigte an wechselnden Arbeitsorten gut ansprechen, und was bedeutet Beratung auf Distanz etwa hinsichtlich des Datenschutzes? Es gibt Bedarf auf allen Ebenen.

Sie gehen im Projekt „Arbeiten zwischen Home und Office“ davon aus, dass auch in Zukunft ein großer Teil der Beschäftigten zumindest teilweise von zuhause arbeiten wird. Sie halten den Effekt also für nachhaltig?

Grzech-Sukalo: Ja. Der Wunsch, im Homeoffice zu arbeiten, bestand schon vor der Pandemie. In den Jahren vor Corona lag der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice recht stabil um die zwölf Prozent, dabei hatten ungefähr 60 Prozent Interesse an einem gelegentlichen Wechsel ins Homeoffice. Bei 40 Prozent war es theoretisch möglich. Es gibt aber etwa in der Industrie oder in der Gastronomie auch viele Tätigkeiten, die sich schlicht nicht ins Homeoffice verlagern lassen. Somit gibt es eine gewisse Grenze, die Größenordnung ist schwer einzuschätzen. Zukünftig wollen viele Beschäftigte gerne, aber nicht ausschließlich im Homeoffice arbeiten.

 

„Wir halten gern an Bewährtem fest und verteidigen den Arbeitsplatz als unser Territorium.“
(Hiltraud Grzech-Sukalo)

 

Im Fokus des neuen Projekts stehen in den nächsten anderthalb Jahren neben der Weiterbildung vor allem betriebliche Regelungen. Warum sind diese so wichtig – und warum wurden sie bislang offenbar vernachlässigt?

Czycholl: Ein zentraler Punkt ist, dass transparent und nachvollziehbar geregelt sein sollte, wer im Homeoffice tätig sein kann und wer nicht. Nicht jeder Arbeitsplatz im Betrieb oder einer Institution eignet sich dafür. Beschäftigte können individuelle Absprachen zum Beispiel innerhalb einzelner Abteilungen – ob zu Recht oder zu Unrecht – als Ungleichheit wahrnehmen, dies hat manchmal Konflikte zur Folge. Eine betriebliche Vereinbarung, auf die beide Seiten sich berufen können, ist somit wichtig.

Grzech-Sukalo: Unternehmen scheuen sich allerdings nicht selten vor betrieblichen Regelungen, um sich nicht einzuschränken. Wir möchten gerne anhand von Best Practice Beispielen aufzeigen, welche Vorteile und positiven Effekte Betriebsvereinbarungen und Leitlinien für alle haben können.

In Ihrer Forschung bringen Sie verschiedene Akteure zusammen. So auch wieder im Projekt „Arbeiten zwischen Home und Office“, bei dem es vor allem um die Praxis geht.

Grzech-Sukalo: Stimmt. Wir werden uns wieder intensiv mit interessierten Beschäftigten, Unternehmen, Interessenvertretungen, Handwerks- oder Industrie- und Handelskammer austauschen. Da in der Region Nordwest um Oldenburg der Dienstleistungsbereich stark vertreten ist, liegt der Fokus des Projekts besonders darauf.

Czycholl: Es ist wahnsinnig wichtig, diese unterschiedlichen Personengruppen in einen Dialog zu bringen, so dass Beschäftigte, Personal- und Betriebsräte und Führungskräfte sich austauschen, ihre Erfahrungen einbringen und gemeinsam etwas entwickeln können.

In der Vergangenheit haben vor allem die Digitalisierung und Globalisierung das mobile Arbeiten befördert. Neuerdings ist da die Pandemie zu nennen – aus Ihrer Sicht der stärkste Katalysator?

Czycholl: Es ist ein Experimentierraum entstanden – in dem man auch merkt, welche Rahmenbedingungen sich künftig noch verändern müssen. Dabei ist die Pandemie sicherlich aktuell der treibende Faktor überhaupt. Mich interessiert, inwieweit – neben Digitalisierung und Globalisierung – in Zukunft auch Klima- und Umweltschutz eine stärkere Rolle spielen werden.

Wagen Sie zum Abschluss eine kleine Prognose: Wann könnte der stationäre Arbeitsplatz – ein Büro mit Schreibtisch – eher die Ausnahme denn die Regel sein?

Grzech-Sukalo: Nicht mehr zu meinen Lebzeiten, vermute ich, aber wer weiß. In den nächsten 20 Jahren sehe ich da wenig Chancen. Zum einen halten wir gern an Bewährtem fest und verteidigen den Arbeitsplatz als unser Territorium. Zum anderen bleiben zumindest vorerst viele Aufgaben, die nicht ausschließlich für Homeoffice oder mobiles Arbeiten taugen – auch wenn die Arbeitswelt im Wandel ist.

Czycholl: Es wird in Zukunft sicherlich mehr Homeoffice-Arbeitsplätze geben. Ebenso wird das Arbeiten in Coworking-Spaces zunehmen. Ich gehe davon aus, dass vermehrt verschiedene Arbeitsformen nebeneinander und in Kombination ausgeübt werden.

Interview: Deike Stolz

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