Seit 40 Jahren kooperieren die Universitäten Groningen und Oldenburg. Im Interview sprechen die beiden Präsidenten Jouke de Vries und Hans Michael Piper über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und würdigen die besondere Beziehung.
Herr de Vries, die Rijksuniversiteit Groningen, kurz RUG, hat eine jahrhundertealte akademische Tradition, ist deutlich größer als die Universität Oldenburg. Für uns ist Groningen der wichtigste internationale Partner, aber Ihre Sicht auf die Kooperation ist möglicherweise anders. Warum ist die Universität Oldenburg für Sie als Partner interessant?
DE VRIES: Für mich ist die Uni Oldenburg nicht nur einer von vielen Partnern, sondern ein solider alter Freund und Nachbar. Und wie wir auf Niederländisch sagen: Ein guter Nachbar ist besser als ein Freund in der Ferne. Seit vier Jahrzehnten kooperieren wir erfolgreich in Forschung, Lehre und Transfer. Gemeinsam können wir viel mehr zu der besonderen Region beitragen, in der wir beide liegen. Im vergangenen Jahr habe ich mit dem Plan für eine „Universität des Nordens“ begonnen, und die Universität Oldenburg ist für mich dabei ein wichtiger Partner.
Für die Uni Oldenburg ist es die am längsten währende internationale Kooperation, geschlossen gut sechs Jahre nach Gründung der Universität. Herr Piper, was macht für Sie den Reiz dieser Verbindung aus?
PIPER: 40 Jahre sind eine lange Zeit für einen Menschen. Für die Universität Oldenburg, die noch kein ganzes Menschenalter erreicht hat, ist eine Verbindung und Freundschaft, die so lange währt, natürlich etwas Besonderes. Das drückt sich nicht nur in der für uns sehr wichtigen Zusammenarbeit in der European Medical School aus. Mich persönlich hat an der Verbindung immer gereizt, dass wir trotz der unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen als Menschen in derselben Region doch viele Gemeinsamkeiten haben. Das drückt sich auch in den Universitätskulturen aus.
Zwischen der RUG und der Uni Oldenburg gibt es Kooperationen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. In welcher Hinsicht können wir besonders voneinander lernen, auch durch das Miteinander über die Grenze hinweg?
DE VRIES: Dass der Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden zum interkulturellen Verständnis zwischen den Niederlanden und Deutschland beiträgt, ist für mich der wichtigste Aspekt. Von Oldenburg-Rückkehrern unter unseren Studierenden höre ich oft, dass sie ungemein viel von einem anderen kulturellen Umfeld gelernt haben, das nur 45 Autominuten entfernt ist.
PIPER: Für die regionale Verankerung beider Universitäten ist der Transfer von Wissen in die Wirtschaft und die Bevölkerung immens wichtig. Bei Ausgründungen ist Oldenburg unter den mittelgroßen deutschen Universitäten besonders erfolgreich. Ich bin sicher, dass wir auf diesem Feld gegenseitig von unseren Erfahrungen profitieren können.
Wo würden Sie die Kooperation gerne vertiefen?
PIPER: Ein besonders spannendes Thema sind die unterschiedlichen Erfahrungen in der Lehrkräftebildung. In Deutschland ist das Studium für das Lehramt stark spezialisiert – in den Niederlanden baut man mehr auf die jeweilige Fachkultur. Ähnlich wie in der Medizin können wir hier zwei ganz unterschiedliche Ansätze vergleichen und damit neue Impulse bekommen.
DE VRIES: Da Kooperation eben nicht an der Grenze aufhört, habe ich meinen Kollegen Piper eingeladen, in der Steuerungsgruppe der „Universität des Nordens“ mitzuwirken, zusammen mit den Vorsitzenden der anderen Partnerinstitutionen aus den nördlichen Niederlanden. Für mich ist es logisch, dass wir den Nordwesten Deutschlands und Oldenburg als Partner aufgrund gemeinsamer Herausforderungen und Chancen in unsere Pläne einbeziehen.
Und was schätzen Sie an den deutschen Kolleginnen und Kollegen besonders?
DE VRIES: Ich finde sie sehr höflich und freundlich, wir Niederländer können viel von ihnen lernen.
Herr Piper, was mögen Sie besonders an den Niederländern?
PIPER: Ein bisschen mehr niederländische Gelassenheit täte uns gelegentlich auch ganz gut.
Um noch einmal auf unsere Universitäten zu blicken: Wie bleibt eine traditionsreiche Universität auch nach 400 Jahren „offen für neue Wege“, um das Oldenburger Leitmotiv zu zitieren?
DE VRIES: Ich glaube, es liegt in unserer akademischen DNA, für neue Ansätze und Richtungen offen zu sein. Es gibt keinen anderen Weg, sonst hätten wir unser 406-jähriges Bestehen nicht erreicht.
Und wie schafft es umgekehrt eine junge Universität, etwa in der Forschung auch international Akzente zu setzen?
PIPER: Hervorragende Forschung setzt voraus, dass man hervorragende Talente beruft und fördert. Darin war die Universität Oldenburg in den letzten Jahrzehnten sehr erfolgreich – etwa im Fach Geschichte, in der Hörforschung oder in der Meeresforschung.
Ihr derzeitig größtes gemeinsames Projekt ist die European Medical School (EMS). Warum sind das grenzüberschreitende Medizinstudium und die gemeinsame Forschung auf diesem Feld so wichtig?
PIPER: Dank der Zusammenarbeit mit Groningen hat Oldenburg mit der EMS einen sehr erfolgreichen Studiengang etabliert. Er führt im Studium Erfahrungen der Gesundheitsversorgung beider Nachbarländer zusammen. Einzigartig ist auch die vergleichende Forschung über die benachbarten Gesundheitssysteme im Rahmen des Cross-Border Instituts.
DE VRIES: Die EMS ist wichtig für eine lebendige Region mit einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Ich bin überzeugt, dass sie auch weiterhin dazu beitragen wird, indem wir gemeinsam gute Ärzte und medizinisches Personal ausbilden.
Wie blicken Sie auf die weitere Kooperation unserer beiden Universitäten – wo stehen wir, wenn sie 50 Jahre alt ist?
DE VRIES: Ich bin sicher, dass wir in den kommenden zehn Jahren noch enger zusammenarbeiten werden, etwa an einer „Universität des Nordens“. Die Grenze wird weiter an Bedeutung verlieren – womöglich sogar auch dank einer besseren Zugverbindung?
PIPER: Ich hoffe, in zehn Jahren stehen wir in der prachtvollen Festhalle der Rijksuniversiteit Groningen und unterzeichnen die nächste Kooperationsvereinbarung. Für die Oldenburger Seite wird das ein anderer Präsident oder eine Präsidentin tun. Ich lasse mich gerne dazu einladen.
Interview: Deike Stolz