• Foto der Neurobiologin Anja Günther bei der Arbeit am Computer.

    Neurobiologin Anja Günther untersucht, wie die Zellen in der Netzhaut von Vögeln vernetzt sind. Hier wertet sie entsprechende Bilder aus. Foto: Julia Schlee/ ceasar

Der Blick ins Detail

Moderne Geräte, Geduld und Durchhaltevermögen sind oft wichtige Voraussetzungen, damit neue Erkenntnisse entstehen. Nachwuchswissenschaftlerin Anja Günther hat diese Herausforderung angenommen.

Moderne Geräte, Geduld und Durchhaltevermögen sind oft wichtige Voraussetzungen, damit neue Erkenntnisse entstehen. Nachwuchswissenschaftlerin Anja Günther hat diese Herausforderung angenommen.

Dass der Weg zum Erfolg mühselig ist, hat bereits der römische Philosoph Seneca festgestellt. Gut 2000 Jahre später gilt dies immer noch für viele Forschende. Wer neue Erkenntnisse erlangen möchte, muss gerade bei experimentellen Arbeiten oft hartnäckig bleiben.

Auch die Neurobiologin Dr. Anja Günther musste einige Hürden überwinden, um zu neuem Wissen zu gelangen. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie die Sinneszellen in der Netzhaut von Vögeln miteinander verknüpft sind. Eine Detailfrage, die dazu beitragen soll, langfristig das Rätsel des Vogelzugs zu lösen.

Denn vieles spricht dafür, dass bestimmte Mechanismen in der Netzhaut es Vögeln ermöglichen, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen und so über den Globus zu navigieren. Doch um überhaupt erste detaillierte Daten zum Aufbau der Netzhaut von Vögeln zu erhalten, hat Günther mehrere Jahre gebraucht. „Man muss eine gewisse Frustrationstoleranz entwickeln, um am Ball zu bleiben“, sagt die Biologin und lacht.

Für ihre Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe Neurosensorik von Prof. Dr. Henrik Mouritsen musste sie unter anderem eine völlig neue Methode etablieren, um ihre Forschungsfrage zu verfolgen. Eine mühsame, kleinteilige Arbeit, die viel Zeit in Anspruch genommen hat. Doch mit Erfolg – denn erstmals ist es Günther gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen gelungen, einen detaillierten Blick in die Netzhaut von Hühnern zu werfen. Die Ergebnisse hat das Team, dem auch die Oldenburger Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Karin Dedek angehört, in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht.

Mehrere Terabyte an Daten

Um diesen genauen Blick zu erhalten, hat Günther ein spezielles Elektronenmikroskop verwendet. „Diese Technologie gibt es nur an einigen Standorten weltweit, sie ist noch in der Entwicklung“, erläutert die Biologin. Dank einer Kooperation mit dem Center of Advanced European Studies and Research (caesar) in Bonn, konnte sie das dortige Mikroskop nutzen.

Das Besondere: Im Gegensatz zu gängigen Elektronenmikroskopen arbeitet diese Technologie nicht mit einem einzigen Elektronenstrahl, sondern mit 91 solcher Strahlen. Ähnlich wie Lichtstrahlen, aber sehr viel feiner, ermöglichen es die Elektronenstrahlen, detaillierte Aufnahmen eines Gewebes zu machen. Durch die höhere Anzahl an Elektronenstrahlen ist es möglich, deutlich schneller als bisher große Datenmengen zu erstellen und daraus eine dreidimensionale Darstellung zu rekonstruieren.

Doch die Methode ist nicht ohne Tücken: Alle winzigen Bildausschnitte, die auf diese Weise entstehen, ergeben zusammen mehrere Terabyte an Daten. Allein das Verarbeiten dieser Informationen durch den Computer nimmt bereits viel Zeit in Anspruch. Zudem sei es aufwändig, eine Netzhautprobe für die Mikroskopie aufzubereiten, betont Günther.

Lichtempfindliche Zellen komplex verschaltet

Dafür müssten etwa Teile des Gewebes zunächst in ein Harz gegossen und mit Schwermetallen für den späteren Kontrast versehen werden. „Das Ergebnis sieht dann ähnlich aus wie ein Bernstein mit einem Einschluss“, sagt die Nachwuchsforscherin. Mit Hilfe einer Diamantsäge erstellte die Neurobiologin dann hauchzarte, 40 Nanometer dünne Schnitte.

Günther ist zufrieden mit dem Ergebnis, auch wenn sie länger gebraucht hat, als sie am Anfang ihrer Promotionszeit gedacht hatte. Denn erstmals konnte sie einen detaillierten Blick in den Aufbau der Netzhaut von Vögeln werfen. „Vor zehn Jahren wäre das in dem Maße noch nicht möglich gewesen“, sagt sie nicht ohne Stolz. Dank dieses Blicks konnte sie nicht nur unterschiedliche Zelltypen erkennen – die lichtempfindlichen Photorezeptoren und die in der Netzhaut dahinter liegenden Bipolarzellen, die als eine Zwischenschicht die Informationen von den Photorezeptoren an dahinter liegende Nervenzellen weiterleiten. Vielmehr zeigen die Ergebnisse auch, wie die verschiedenen Nervenzellen miteinander verbunden sind.

So sind offenbar manche Bipolarzellen hochspezifisch mit nur einem bestimmten Zelltyp der Photorezeptoren verbunden. Andere hingegen sind mit mehreren Photorezeptortypen verknüpft. Dass die Photorezeptorzellen der Netzhaut außerdem auf sehr komplexe Weise miteinander verschaltet sind, sei bisher nicht bekannt gewesen, sagt Günther. Was dies genau bedeutet – für das Sehen der Tiere und letztlich auch für den Magnetsinn, wollen die Forschenden um Günther nun weiter ergründen. Denn die Schwierigkeiten haben die Neurobiologin nicht abgeschreckt. Sie macht jetzt weiter und hat immer noch Lust auf Forschung.

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